Zur Müllmoral mit Mexikos Barrenderos: Ein Projekt von Pia Lanzinger.
Ähnliche Symptome sind nicht immer mit der gleichen Arznei zu behandeln. So oder so ähnlich dürfte das vorläufige Fazit von Pia Lanzinger gelautet haben, als sie die Vorarbeiten für das Kunstprojekt Tres piezas para barrenderos (Drei Stücke für Straßenkehrer) im Centro Histórico von Mexiko-Stadt in Angriff nahm.
Von Julia Fisahn.
Während die Verarbeitung und Verwertung von Müll in Deutschland hochkomplex reglementiert ist und eine effiziente Recyclingindustrie besteht, erschweren politische Interessenskonflikte die Abfallbeseitigung und -trennung in Mexiko. Dass Korruption, Ausbeutung und unsichere Arbeitsverhältnisse den Sektor der Abfallpolitik prägen, zeigt ein Blick auf die irregulär gewachsenen Abfallhalden in der Peripherie von Mexiko-Stadt.
Bemühungen, Strategien zur ökologisch nachhaltigen Abfallbeseitigung und -trennung zu entwickeln, zeigen nur verhalten ihre Wirkung: Wenngleich für die Bewohner der acht Millionen Metropole seit Beginn des Jahres 2009 die Pflicht besteht, ihren Müll zu trennen, zeigt die Praxis, dass allein der Aufruf zum Müllmanagement kein System schlagartig umkrempeln kann.
Auch die in Berlin lebende Künstlerin Pia Lanzinger sieht die Lösung der abfallpolitischen Probleme in Mexiko-Stadt nicht in Maßnahmen, die in Westeuropa Wirkung zeigen, wie etwa der Ausgabe von Abfall-Info-Faltblättern mit gut gemeinten Hinweisen zur Abfalltrennung und Recyclingprogrammen. Lanzinger setzt in ihrem Kunstprojekt tres piezas para barrenderos, das eines von acht Bausteinen in dem übergreifenden Projekt Residual darstellt, vielmehr an einem ungewöhnlichen Punkt an. So thematisiert sie die Frage der Müllverarbeitung und -trennung im kulturellen und politischen Kontext des Landes Mexiko. Speziell greift sie in ihrem Kunstprojekt auf ein gelungenes Beispiel der Abfallpolitik zurück, das von medienpolitischer Seite buchstäblich gerne unter den Teppich gekehrt wird: der Arbeit der sogenannten barrenderos, d.h. der städtischen Straßenkehrer. Diese tragen ungemein dazu bei, dass die zentralen Teile Mexiko-Stadts auffällig sauber sind, so Lanzinger bei einem Gespräch in ihrem Atelier in Berlin-Neukölln. Während das Beispiel der erfolgreichen Abfallbeseitigung durch die barrenderos aus der Außensicht äußerst vorbildlich und positiv erscheine, lege der Blick aus dem mexikanischen Kontext heraus jedoch eine ambivalente Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Beruf des Straßenkehrers und der gesamten Abfallpolitik offen. So fühle sich ein nicht geringer Teil der Bevölkerung von dem – wohlgemerkt immer selbst produzierten – Müll angeekelt und projiziere diese Abneigung auf diejenigen, die die Innenstadt vom Unrat freihält.
Um genau dieses Misstrauen gegenüber den barrenderos abzubauen und den Straßenkehrern von Mexiko-Stadt eine Stimme zu geben, realisierte Lanzinger im Zeitraum zwischen Mai und Juli 2010 ein Kunstprojekt, das die Frage nach einem veränderten ökologischen Bewusstsein in den öffentlichen Raum hebt und an einem gelungenen Exempel der Abfallpolitik ansetzt.
Während das Ziel des Projektes klar und deutlich zu Projektbeginn bestand, nämlich der Gruppe der Straßenkehrer zur gebührenden Anerkennung für ihre Arbeit zu verhelfen, galt es unvorhersehbare Faktoren in der Vorbereitungs- und Produktionsphase zu meistern: Zum einen stellte die Projekterläuterung in der Fremdsprache eine besondere Hürde für Lanzinger dar. Zum anderen erwies es sich aus Sicht der Künstlerin wichtig, mögliche negative Konsequenzen des Projektes zu bedenken. Um solche bereits vor Projektstart aus dem Weg zu räumen, suchte Lanzinger das Gespräch mit dem Vorgesetzten der barrenderos. Dieser versicherte, dass die Teilnehmer nach Projektende keine Sanktionen, wie etwa Arbeitsplatzverluste, zu erwarten hätten.
Nachdem es Lanzinger dann gelungen war, eine eingespielte Gruppe von barrenderos zu mobilisieren, konnte die eigentliche künstlerische Arbeit beginnen: Dem Kerngedanken folgend, den Straßenkehrern die Möglichkeit zur öffentlichen Selbstdarstellung zu geben, inszenierte Lanzinger drei verschiedene Stücke zu festgelegten Zeitpunkten im Centro Histórico von Mexiko-Stadt ed-nederland.com/. Für das erste Stück Zócalo befragte die Künstlerin einzelne Barrenderos nach ihrer Geschichte und ihrer Arbeit, und ließ die gekürzten Interviews von Schauspielern vertonen. Während die Straßenkehrer einer Statue gleich auf einem Sockel standen, ertönten die Aufnahmen aus den Lautsprechern. Lanzingers zweites Stück Retrato de Grupo fokussierte wiederum die Frage der Repräsentation der Straßenkehrer als Körperschaft. Auf einer großen runden Bühne entwarfen die Mitwirkenden unterschiedliche Figuren, um ihre soziale Stellung und bestehende Vorurteile zu thematisieren und z.T. auch karikieren. Das dritte Stück Coro hingegen ermöglichte den mitwirkenden Barrenderos eigene musikalische Vorträge zu gestalten und vorzutragen. In Zusammenarbeit mit sechs Musikern komponierten die Straßenkehrer sechs Lieder sowie gesprochene Statements.
Wie lässt sich ein solches Projekt, das an den Grenzen von ökologisch- politischen Fragen operiert, schließlich begrifflich definieren? Zuvorderst ist festzuhalten, dass Lanzinger die künstlerische Beschäftigung mit der global hochrelevanten Frage der Abfallbeseitigung in der prestigearmen Berufsgruppe der barrenderos entspringen lässt und damit Kunst – gemäß des Bottom-Up-Modells – in die Stadt hineinträgt. Intention des Projektes ist es, Irritationen und Interventionen im öffentlichen Raum mithilfe von Amateur-Rezitationen hervorzurufen. Anders als im traditionellen Sinne erhält Kunst damit bei Lanzinger einen breiten gesellschaftlichen Anknüpfungspunkt, da sie in diesem Fall ihren Anker nicht in der Hochkultur findet, sondern als Motor von übergreifenden sozialen und ökologischen Entwicklungen gedacht wird.
Fotos (c) Pia Lanziger. Wer des Spanischen mächtig ist kann sich hier auch noch einen Videoausschnitt aus dem Projekt ansehen.