Zeitreise in Budapest

Zeitreise in Budapest

mediengesetz5Ungarns rechtskonservative Regierung kehrt mit ihrem autoritären Kurs ins Zeitalter der zentralistischen Staatskontrolle und parteitreuen Kulturpolitik zurück. Ein Bericht aus Budapest. Von József Mélyi.

Im Ungarischen gibt es einen Witz. Ich weiß nicht, ob es ein internationaler Witz ist. Ich glaubte immer, es gebe ihn nur bei uns.

Ein alter Bauer gewinnt einen Schauflug mit einer kleinen Maschine. Er sitzt hinter dem Piloten, der ihm seine Künste zeigen möchte. Als sie steil nach oben ziehen, sagt der Bauer: “Das dacht ich mir!”. Dann fliegt die Maschine plötzlich nach unten, da sagt der Alte wieder: “Das dacht ich mir!”. Von der Ruhe des Bauern angespornt dreht der Pilot das Flugzeug auf den Rücken. Der alte Bauer sagt nur ruhig: “Das hab ich mir nicht gedacht.” Als sie wieder landen, fragt ihn der Pilot: “Onkel, was wollten Sie mit diesem ‘das dacht ich mir – das dacht ich mir nicht’ eigentlich sagen?” Der Bauer antwortet: “Ich dachte mir, dass ich in die Hose pisse; ich dachte mir auch, dass ich mich zusammenscheiße; aber dass das Ganze in meinen Nacken fließt, das dacht’ ich mir nicht.”

Das hab ich mir nicht gedacht, all das, was in den letzten Monaten in Ungarn passierte. Direkt nach den Wahlen habe ich damit gerechnet, dass die Verfassung vielleicht neu geschrieben wird; ich habe auch daran gedacht, dass die Medien neue, parteitreue Leiter bekommen; aber an eine Zeitreise habe ich nicht gedacht.

Für Viele ist es mit den 30er Jahren vergleichbar, für mich selbst mit Anfang der 80er.

Vor 30 Jahren war ich 14 und habe zum ersten Mal über Politik und die Zukunft nachgedacht. Damals glaubte ich, es würde immer so bleiben: Die “sich provisorisch in unserem Heimat aufhaltenden” sowjetischen Truppen würden bis zur Ewigkeit bleiben, genau wie das Einparteiensystem und János Kádár. Ich würde die wichtigen Informationen von Radio Free Europe erhalten. Und in den Tageszeitungen müsste ich zwischen den Zeilen lesen und vorsichtig sein, wenn ich öffentlich meine Meinung sage.

Um 1990 glaubte ich dann, dass nun doch alles vorbei sei und meine frühere, unveränderbare Welt nur eine Illusion gewesen wäre: das Einparteiensystem und die sowjetischen Truppen waren plötzlich weg und ich durfte öffentlich meine Meinung sagen. Und ich dachte wirklich, dass dies in meinem Leben nie mehr rückgängig gemacht werden könne.

Wie es sich inzwischen herausstellte, war auch das eine Illusion. Wir haben jetzt wieder öffentlich-rechtliche Medien wie Anfang der 80er; wir haben ein Mediengesetz wie vor 30 Jahren; diejenigen, die öffentlich eine andere Meinung als die Regierungspartei äußern, werden bestraft: Das Verfassungsgericht darf sich nicht mehr zu Budgetfragen äußern; der Budgetrat, der die Fehler im Budget 2011 auflistete, wird abgeschafft.

Die schrecklichste Seite diese Zeitreise spürt man im Alltag: Nicht nur, dass ich die öffentlich-rechtlichen Sender (was für ein Ausdruck für sie! Genau wie der Parteiname der “Jungen Demokraten” – sie sind weder jung, noch Demokraten), dass ich diese Sender nicht mehr einschalten kann, weil daraus statt Nachrichten die zentralisierte Lüge fließt, fast ausschließlich mit Regierungspolitikern vor der Kamera. Selbst auf den Straßen wird es langsam anders.

Das war eigentlich das erste Erlebnis, noch Anfang Sommer 2010. Es gab eine Demonstration der Fahrradfahrer, wie seit Jahren immer wieder. Es ist ein Fest! Und die Budapester haben es gern: Für einen Nachmittag im Jahr erobern die Fahrräder die Stadt, Zehntausende demonstrieren friedlich für mehr Fahrradwege und bessere Luft. Dieses Jahr war es auch so – mit einer kleinen Ausnahme: An der Kreuzung der Hauptstraße, wo die Demonstration stattfand, standen Polizisten und haben jeden Fahrradfahrer, der auf der sonst leeren Straße über Rot fuhr – für Autos war die Gegend abgesperrt – hart bestraft.

Da spürte ich zum ersten Mal, dass wir nicht einer besseren Zukunft entgegen, sondern in der Zeit zurück reisten.

Und zuletzt vor ein paar Tagen, als ich in der Zeitung eine Erklärung der Regierung las. Das Thema war mein Fachgebiet: zeitgenössische Kunst. Gerade jetzt wird der neue Leiter der Budapester Kunsthalle ausgewählt. Das Ministerium (es gibt jetzt ein einziges Ministerium für Gesundheit, Soziales, Bildung, Sport und Kultur – Ministerium für Nationale Ressourcen…) hat alle Bewerbungen abgelehnt und wird selbst einen Direktor ernennen. Die Erklärung für die Ergebnislosigkeit des Wettbewerbs lautete: Keiner der Kandidaten hätte Pläne vorgestellt, “die dem Programm der Fidesz-Regierung und ihren Versprechen für die Wähler entsprechen”.

Stellen Sie sich das für die Kunsthalle Bonn und die CDU oder SPD vor und Sie ahnen die Absurdität der Lage.

Die Lage ist nicht nur absurd, sondern auch ziemlich gefährlich. Zu befürchten ist, dass die Dampfwalze, die in der Wirtschaft und in den Medien alles niedertrampelte, in kürzester Zeit mit voller Wucht die Kultur erreicht. Parteitreue Theaterleiter traten bereits hervor, unabhängige Stiftungen wurden unmöglich gemacht und bei neuen Filmproduktionen werden nationale Themen bevorzugt.

Ich fühle mich im Moment wie der alte Bauer – aber wir fliegen noch.

József Mélyi lebt als Kurator, Kunst- und Kulturkritiker in Budapest. Er war u.a. künstlerischer Leiter am Ungarischen Kulturinstitut in Berlin sowie am C3 Zentrum für Kultur und Kommunikation in Budapest. Er kuratierte zahlreiche Ausstellungen, u.a. im ZKM Karlsruhe.

 

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