Wo gehse, Kulturhauptstadt VI: Interview mit Axel Biermann (Ruhr Tourismus GmbH)
Sarah Meyer-Dietrich sprach mit Axel Biermann von der Ruhr Tourismus GmbH über touristische Erfolge des Kulturhauptstadtjahres, über die Chancen und Risiken, mit denen die Region aus touristischer Sicht konfrontiert wird, und darüber, warum sich auch im zweiten Jahr nach der Kulturhauptstadt ein Besuch im Ruhrgebiet jederzeit lohnt. Von Sarah Meyer-Dietrich.
War das Kulturhauptstadtjahr aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Axel Biermann: Auf jeden Fall. Erstens gab es eine identitätsstiftende Wirkung nach innen, weil die Kulturhauptstadt mit ihrer Strahlkraft ein einheitliches Symbol für die Menschen in der Region bildete. Zweitens hat das Image der Region von der hohen Besucherzahl extrem profitiert. Diese unmittelbaren „Aha-Effekte“, die ein Besucher vor Ort hat, kann man mit der schönsten Hochglanz-Image-Broschüre nicht erzeugen. Und da viele Besucher mit einer geringen Erwartungshaltung herkamen, wirkten Überraschung und Begeisterung umso mehr nach. Drittens hat uns das Kulturhauptstadtjahr einen Platz auf der touristischen Landkarte eingebracht.
Vorher war die Region da noch nicht verzeichnet?
Das Ruhrgebiet war kein weißer Fleck auf dieser Landkarte, aber mit Industriekultur-Angeboten im Hochkulturbereich – Stichwort „Ruhrtriennale“ – eher ein Nischenprodukt. Es gab vereinzelt Massenphänomene im Industriekulturbereich, wie den Gasometer Oberhausen oder die Zeche Zollverein. Aber erst durch die Kulturhauptstadt ist wirklich so etwas wie Massentourismus entstanden. Das hatte auch massive wirtschaftliche Effekte. Nehmen wir nur mal die fast 700.000 Übernachtungen, die wir im Kulturhauptstadtjahr zusätzlich verzeichnen konnten.
Machen sich die Effekte des Kulturhauptstadtjahres auch jetzt noch unmittelbar in Ihrer täglichen Arbeit bemerkbar?
Die Identitätsstiftung hat dazu geführt, dass die Menschen dem Thema Tourismus in der Region einen höheren Stellenwert einräumen. Sie konnten sehen, dass das Ruhrgebiet für Touristen attraktiv ist.
Was hat Ihrer Meinung nach an der Kulturhauptstadt nicht so gut funktioniert?
Grundsätzlich ist die Zusammenarbeit zwischen Touristikern und Kulturschaffenden immer eine Gratwanderung zwischen der Freiheit der Kunst und ihrer Verkommerzialisierung. Touristiker betrachten das Ganze eher von der monetären Seite aus. Für die Vermarktung der „Kulturprodukte“ mussten wir darauf drängen, früh genug die Highlights im Programm genannt zu bekommen. Und auch konkrete Informationen wie Preise und Öffnungszeiten.
Wann brauchten Sie diese Informationen?
Schon 2008. Damit wir auf der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) Berlin im März 2009 einen Katalog mit den 50 Top-Highlights aus dem Konvolut von 1500 Programmpunkten vorstellen konnten. In Berlin wird immer schon für das jeweils folgende Jahr geworben. Tagestouristen planen zwar oft spontan, aber viele kulturinteressierte Gruppen wie Rotarier oder Kulturvereine, planen ihre Jahresausflüge frühzeitig. Wir mussten also rechtzeitig mit touristischen Informationen aufwarten. Der Informationsaustausch hätte besser laufen können, lief verglichen mit anderen Kulturhauptstädten aber sehr gut. Ein Problem war allerdings die teils unscharfe Zuteilung von Zuständigkeiten im Bereich des Marketings.
Wo lagen da konkret die Probleme?
Weil die Zuständigkeiten zwischen der Ruhr.2010 GmbH und der Ruhr Tourismus GmbH nicht trennscharf zugeteilt waren und es nicht immer klar definierte Ansprechpartner gab, kam es zu Überschneidungen. Bei der Pressearbeit war zum Beispiel nicht eindeutig festgelegt, wer für die Reiseredakteure und die Kulturredakteure zuständig war. Das führte zu Reibungsverlusten, die man hätte minimieren können.
Da würde ich gerne einhaken: Was waren denn überhaupt die Aufgaben der Ruhrtourismus GmbH im Kulturhauptstadtjahr?
Schon lange vor dem Kulturhauptstadtjahr hat die Ruhr Tourismus GmbH angefangen, zusammen mit den Städten das touristische Begleitprogramm für die Kulturhauptstadt zu entwickeln. Wir haben zum Beispiel ein dezentrales Besucherinformationssystem durchgesetzt statt einem ursprünglich geplanten zentralen Welcome-Center auf Zollverein. Schließlich war man als Metropole Ruhr angetreten und nicht als Einzelstadt. Außerdem ist ein Besucher, der das erste Mal ins Ruhrgebiet reist, erfahrungsgemäß zunächst völlig überfordert. Von der Fülle des Angebots, der Größe der Region, der extrem hohen Verkehrsdichte. Unser Ziel war es, den Gast zu führen, eine Leitlinie zu entwickeln.
Wie muss man sich diese Leitlinie vorstellen?
Die Region wurde in fünf Erlebnisareale mit je einem Schwerpunktthema eingeteilt. Jedes Areal hatte eine Portalstadt mit einem Ruhr-Visitor-Center. Die Besucher haben eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von nur 2-3 Tagen. Da ist es hilfreich, wenn sie sich für ein Schwerpunktthema entscheiden können. Die räumliche Lenkung vermeidet zudem, dass ein Besucher von außen Zollverein besuchen will und dafür in Dortmund übernachtet, weil er nicht berücksichtigt, wie groß der „Ruhrpott“ ist und Entfernungen falsch einschätzt. Dieses Konzept der Besucherlenkung und –information hat die Ruhr Tourismus GmbH federführend entwickelt. Als offizieller Touristikpartner der RUHR.2010 GmbH übernahmen wir zudem das touristische Marketing, also Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Vertrieb.
Was gehörte konkret zu den Aufgaben, die die Ruhr Tourismus GmbH im Rahmen von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit übernommen hat?
Wir haben aus der Flut an Veranstaltungen die tourismusrelevanten herausgefiltert und in einer Publikation zusammengestellt. Außerdem haben wir die Metropole Ruhr auf Messen vorgestellt und dadurch große Presseaufmerksamkeit erzeugt. Es ist sogar gelungen, Motive von Essen auf die Titelseiten der großen Kataloge wie Neckermann und Dertour zu bekommen. Die ITB hat das Ruhrgebiet als Region als Partner ausgesucht. Eine Besonderheit, da sonst nur Länder als Partner gewählt werden. Im August 2009 waren wir auf der Gruppenreisemesse des Internationalen Bustouristik Verbandes (RDA) in Köln und im Januar 2010 auf der CMT Stuttgart als größte Endkunden-Urlaubsmesse präsent. Zudem haben wir Pressereisen durchgeführt, um über Multiplikatoren aus Tourismus und Medien in- und ausländische Quellmärkte zu erreichen und haben Reisejournalisten in die Region eingeladen. Hinzu kam die Integration der Kulturhauptstadt in unsere Broschüren und Flyer, die Organisation eines Ruhr.2010-Tickets für den öffentlichen Nahverkehr und die Bereitstellung einer Kulturhauptstadt-Hotline über unser Callcenter.
Wie wichtig waren Ihrer Meinung nach Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für die Kulturhauptstadt?
Meiner Meinung nach ist der große Erfolg der Kulturhauptstadt letztendlich darauf zurückzuführen. Einerseits funktionierte das durch tolle Bilder, wie das Still-Leben A40 oder die Schachtzeichen, die dann auch in der Tagesschau und in „heute“ zu sehen waren. Andererseits waren die Pressearbeit und die Präsenz in der Reiseveranstalterszene extrem wichtig. Mein Ansatz ist auch nach wie vor der, dass die Region so viel zu bieten hat und die Aufgabe mehr daran besteht, intensiver für das zu werben, was es hier gibt, und weniger darin, uns nach immer neuen Produkten zu strecken.
Das Ruhrgebiet hat also auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus das Potenzial Touristen anzuziehen?
Das Potenzial ist vorhanden, aber das Ruhrgebiet hat nach wie vor ein Imageproblem. Natürlich gab es immer schon Sterne wie das Schauspielhaus Bochum mit Intendanten wie Peymann oder das Museum Folkwang. Das Ruhrgebiet ist aber keine gelernte Kunst- und Kulturregion und steht nicht automatisch auf der Liste, wenn man überlegt, eine Städtereise zu machen oder sich eine Ausstellung anzuschauen. Daran müssen wir noch arbeiten. Was nützt uns das schönste Museum oder die tollste Attraktion, wenn keiner davon weiß? Und da reicht es nicht, bunte Blättchen zu drucken und Anzeigen zu schalten. Wir müssen weiterhin aktiv Multiplikatoren wie Reisebüromitarbeiter und Journalisten hierher einladen, die das Ruhrgebiet dann guten Gewissens weiterempfehlen.
Bleiben wir beim Thema Tourismus im Ruhrgebiet. Wo liegen die Stärken und Chancen im touristischen Bereich?
Eine Stärke ist, dass wir eine sehr kurze aber hochinteressante Historie haben, die sich deutlich von der anderer Städte und Regionen unterscheidet. Eine weitere Stärke ist unser unstrittiges Alleinstellungsmerkmal Industriekultur. Ingesamt haben wir ein hochwertiges und vielfältiges Kultur-, Event- und Shoppingangebot vorzuweisen. Auch nicht unwichtig ist das sehr gute Preis-Leistungsverhältnis in der Hotellerie und Gastronomie. Positiv hervorzuheben ist, dass die Leute hier offen und nett sind und eine gute Willkommenskultur haben.
Das klingt ja vielversprechend. Kommen wir zu den Schwächen und Risiken.
Ein Risiko ist, dass die Region finanziell extrem schwach dasteht und kaum öffentliche Budgets zur Verfügung hat, um den Tourismus zu fördern. Auch das Bewusstsein für Tourismus kann noch ausgebaut werden. Eine Schwäche ist auf jeden Fall der öffentliche Nahverkehr.
Da kann ich ein Lied von singen. Meine Fahrt heute von Bochum nach Oberhausen Neue Mitte war sehr abenteuerlich.
Das glaube ich. Historisch bedingt gibt es hier überall die sternförmigen Verkehrslinienstrukturen, was die Fahrten sehr erschwert. Wenn Sie vom Gasometer Oberhausen zur Zeche Zollverein wollen, müssen Sie erst vom Gasometer mit Bus oder Bahn in die Innenstadt Oberhausens fahren, von Oberhausen Hauptbahnhof zum Hauptbahnhof Essen und von dort mit der Straßenbahn nach Zollverein. Dabei sind Sie mit dem Auto in einer Viertelstunde da. Eine weitere Schwäche ist nach wie vor das Image als reine Industrieregion, die als touristische Destination immer noch relativ unbekannt ist. Aufgrund der vielen regionalen Akteure ist außerdem das Potenzial der einheitlichen Vermarktung noch ausbaufähig. Ein Risiko ist die hohe Abhängigkeit vom Alleinstellungsmerkmal Industriekultur.
Kommen wir zu den Zielen der RTG. Sehe ich das richtig, dass die Ziele sowohl die Imagebildung nach außen als auch die identitätsstiftende Innenwirkung umfassen? Also das interne und das externe Marketing, wenn man so will?
Genau. Als qualitative Ziele sind Identitätsstiftung und Imagewandel sehr wichtig. Das ist auch als Standortmarketing zu begreifen: Ein attraktives Angebot ist nicht nur für Besucher interessant, sondern erhöht für Einheimische Freizeitwert und Lebensqualität. Das verbessert unsere Chancen im Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte. Und dann gibt es noch die quantitativen Ziele.
Welche zählen Sie dazu?
Dazu gehören die wirtschaftlichen Effekte. Außerdem wollen wir für die besucherstärksten Attraktionen die Besucherzahlen jährlich um mindestens 5 % steigern. Ich habe zudem ein quantitatives Ziel, das allerdings ein bisschen arg visionär ist. Die zehn Top-Städtereiseziele in Deutschland haben alle etwa viermal so viele Übernachtungen wie Einwohner. Städte wie Hamburg, Berlin und München liegen sogar über diesem „Faktor 4“. Wir dagegen haben den Faktor 1,2. Meine Vision ist es, bis 2030 den Faktor 4 zu erreichen. Das wären etwa 20 Millionen Übernachtungen für die Gesamtregion, wir haben jetzt ungefähr 7 Millionen. Damit einher muss eine entsprechende Erweiterung der Übernachtungskapazitäten gehen. Das funktioniert aber nur, wenn der Abstand zwischen dem Ruhrgebiet und den anderen Regionen gleich bleibt.
2010 gab es einen Anstieg der Besucherzahlen. Wie sieht es aktuell aus?
Die Zahlen sind auch sehr erfreulich. Bisher, also bis einschließlich Juli 2011, hatten wir noch mal 13 % mehr Besucher. Wobei man das mit ein bisschen Vorsicht betrachten muss. Das sind alle Übernachtungen, inklusive der durch Geschäftsreiseverkehr bedingten. Aber auch die Reiseveranstalter haben wieder zweistellige Zuwachsraten. Das ist reines Freizeitgeschäft.
Man kann also sehen, dass da vorerst schon einmal nachhaltige Effekte zu beobachten sind und es sich lohnt, dran zu bleiben?
Genau. Unser Marketingplan hat drei Parameter: Mit welchen Themen wollen wir welche Zielgruppen in welchen Quellmärkten erreichen. Industriekultur ist das Profilierungsthema. Um massentouristisch zu punkten, kommen sogenannte Aufladungsthemen hinzu: Kultur, Event und Shopping. Ergänzungsthemen sind Kulinarik und Radfahren. Themen wie Wellness, Wandern und Natur hingegen schließen wir aus. Zielgruppen sind vor allem junge Singles und Paare, sowie die sogenannten Best-Ager. Quellmärkte sind Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, wo wir empirisch die höchste Besuchsabsicht für Kurzreisen festgestellt haben. Als ausländische Quellmärkte haben wir die Niederlande und Belgien im Auge, den Großraum Paris wegen des kulturaffinen Publikums und aufgrund der nichtvorhandenen Sprachbarriere Österreich und die Schweiz.
Gibt es hier im Hause eine feste Vorstellung davon, was die Marke Ruhrgebiet ausmacht? Also wie die Marke inhaltlich besetzt ist?
Es gab ein Konzept der Agenturen invent GmbH, TAO und CP/Compartner, die als Tourismusberatung fungierten: „die unkonventionelle Metropole im Werden“. Zur Vermarktung ist das zwar ein bisschen arg sperrig. Für eine Markendefinition könnte man es aber stehenlassen. Die Eigenschaft, die uns von Konkurrenten wie Hamburg und Berlin abhebt, ist dieses Unkonventionelle, das Unfertige, Offene, Ehrliche, Authentische, teilweise Kumpelhafte. Und auch das Überraschende: Wir überraschen, wir sind überraschend anders. Erstens anders als andere und zweitens anders als man denkt. Dieses Überraschende ist für mich eine ganz klare Eigenschaft des Markenkerns. Entsprechend haben wir den Zielgruppenfokus gesetzt: Junge Singles und Paare wollen neue Sachen entdecken und sind aufgeschlossen für innovative Formate und Konzepte. Best-Ager sind interessant, weil sie schon fast alles gesehen haben und deshalb auf der Suche nach neuen Zielen sind.
Und dieses Markenbild soll nun nach außen kommuniziert werden?
Nicht nur. Es spielt auch im Regionalmarketing eine Rolle. Mit der Ruhrtopcard forcieren wir zum Beispiel eine ganz klare Innenwirkung. Sie ist eine Art Entdeckerpass, die etwa Leute aus Dortmund dazu bewegt, das erste Mal in ihrem Leben nach Duisburg zu fahren. Entdeckung, Überraschung – das spielt nach innen genauso wie nach außen eine Rolle.
Ein Problem bei der Markenbildung im Ruhrgebiet ist der Name. Ich selbst weiß im Moment manchmal gar nicht, wie ich das Ruhrgebiet nennen will …
Da geht es Ihnen genau wie mir. In den offiziellen Teilen unserer Pressemitteilungen schreiben wir meist Metropole Ruhr. Irgendwo im Text steht aber auch fast immer Ruhrgebiet. Das ist eine Gratwanderung, mit der ich sehr unglücklich bin. Zumindest haben wir es geschafft, in den Bezeichnungen das „Gebiet“ zu streichen: Regionalverband Ruhr statt Regionalverband Ruhrgebiet, Ruhr Tourismus GmbH statt Ruhrgebiet Tourismus GmbH. Ich plädiere dafür, den Begriff „Ruhr“ stärker in den Vordergrund zu rücken. „An der Ruhr“ ist ja durchaus ein Begriff. Aber Ruhrgebiet ist eben auch ein Begriff. Ruhrgebiet ist nach wie vor unterm Strich überwiegend negativ besetzt. Ruhr sehr positiv. Unter Experten stellt sich aber die Frage: Kann ich durch einen neuen Begriff das Image wandeln? Oder kann ich vor allem durch Tatsachen ein Image wandeln und der Begriff bleibt der gleiche?
Der Begriff Metropole Ruhr wird ruhrgebietsintern oft mit der Begründung angegriffen: Wir müssen einsehen, dass wir keine Metropole sind, wir bleiben Provinz.
Ich komme zwar selbst nicht von hier, kann aber mittlerweile gut nachvollziehen, dass die richtigen Ruhris ein Problem damit haben, wenn einfach ein Begriff gestrichen und ersetzt, sonst aber nichts geändert werden soll.
Dann müssen wir wieder anfangen, das Ruhrgebiet „Ruhrgebiet“ zu nennen und den Begriff positiv zu besetzen?
Vielleicht muss man zweigleisig fahren. Mit der Idee der Weiterentwicklung spielen, ohne die Wurzeln zu verleugnen.
Gerade was die Wurzeln des Ruhrgebiets betrifft, stellt sich mir die Frage, wie sehr man dieses Industrieimage und die verbundenen Klischees kommunizieren soll. Ist es wünschenswert damit zu spielen oder gefährlich, weil man dann vielleicht wieder in dieses alte Bild zurück verfällt, das ja abgelegt werden soll?
Das ist eine Diskussion, die wir sehr intensiv geführt haben: Sind wir zu sehr rückwärtsgewandt oder dokumentieren wir den Wandel, indem wir das Thema Industriekultur stark in den Fokus rücken? Aus touristischer Sicht kann man sagen, dass Gäste sich immer für die Geschichte der Region oder der Stadt interessieren, die sie besuchen. Authentizität funktioniert nur, wenn man die eigene Geschichte nicht verleugnet, sondern dazu steht. Die Gratwanderung besteht darin, wie man dieses Thema verpackt. Eine Gratwanderung zwischen Klischees, Eigenschaften und Industriekultur. Wenn man sich die Industriemuseen in Oberhausen, Hattingen oder in Bochum anschaut, funktioniert das sehr gut: Die stehen ganz klar zu den Wurzeln, erklären sie aber interessant.
Die Ruhr Tourismus GmbH übernimmt, genau wie der Regionalverband Ruhr, die Kultur Ruhr GmbH und ecce, in der Nachhaltigkeitsregelung der Kulturhauptstadt weiterhin Aufgaben. Gibt es nun die gewünschte Trennschärfe?
Es bekommt die Kultur Ruhr GmbH nun mit den „Künsten im urbanen Raum“ und dem Schwerpunkt Emscherkunst eine vierte Säule in ihrem Portfolio. Zusätzlich macht sie „Special Interest Marketing“. Die Ruhr Tourismus GmbH entwickelt Veranstaltungen von regionaler Bedeutung und macht das Kulturmarketing für die Region. Beide Institutionen sind also sowohl für Produktentwicklung als auch für die Produktvermarktung zuständig. Es wird aber auf operativer Ebene konkrete Absprachen geben, um Überschneidungen zu vermeiden.
Die Veranstaltungsformate, die die Ruhr Tourismus GmbH in Zukunft entwickelt, sollen Events wie das Still-Leben werden?
Genau. Die große Kunst ist jetzt aber, auch mit wenig Geld solche Bilder zu erzeugen. Das Still-Leben hat mit Sponsoring etwa mehrere Mio. gekostet. Wir haben nur 700.000 Euro für eine Großveranstaltung. Und Sponsoren zu gewinnen, ist aufgrund der wirtschaftlichen Lage momentan nicht so einfach. Man darf also keine zu große Erwartungshaltung wecken.
Was wünschen Sie sich für die touristische Entwicklung der Region?
Wir sind bereits auf einem sehr guten Weg. Ich wünsche mir, dass wir noch stärker die Kräfte bündeln. Wir haben das Kirchturmdenken im Tourismus schon relativ überwunden. Aber es wäre schön, wenn wir es schafften, dass die öffentlichen Hände und die Privatwirtschaft noch stärker unter einem Themendach marschieren. Dass das erfolgreich sein kann, zeigt der Ruhrtalradweg, an dem sich alle 23 Gemeinden beteiligen. Die Extraschicht ist auch so ein Beispiel. Wichtig ist, dass jeder, der hierherkommt, rundum zufrieden wieder geht und positiv berichtet. Dass er überrascht ist von dem, was er hier sieht. Dann bin ich zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren eine gute Entwicklung verzeichnen können.