Wo gehse, Kulturhauptstadt Teil I: Interview mit Dr. Stephan Muschick (Geschäftsführer RWE Stiftung)
Nach 2010 stellt sich im Ruhrgebiet die Frage, wie es mit der privaten Kulturförderung in der Region im Anschluss an das Kulturhauptstadtjahr weitergeht. Sarah Meyer-Dietrich sprach darüber mit dem Geschäftsführer der RWE Stiftung Dr. Stephan Muschick. Von Sarah Meyer-Dietrich
2011, Zeit zurückzublicken auf das Kulturhauptstadtjahr. Was hat sich aus Ihrer Sicht durch das vergangene Jahr in der Region geändert?
Stephan Muschick: Insgesamt hat das Kulturhauptstadtjahr viel für die Identität der Menschen mit ihrer Region gebracht. Gerade im Rahmen von Veranstaltungen wie dem Still-Leben auf der A40 hat sich gezeigt, dass die Menschen hier einen gewissen neuen Stolz auf ihre Region gewonnen haben. Natürlich gab es auch Kulturhauptstadtkritiker, aber die Mehrzahl fand die Kulturhauptstadt gut und hat ein stärkeres Bewusstsein dafür bekommen, was die Region kulturell zu bieten hat. Aber auch überregional hat das Ruhrgebiet an Aufmerksamkeit und Interesse gewonnen. Als das Ruhrgebiet 2009 als Partnerregion auf der Reisemesse ITB vorgestellt wurde, haben viele noch darüber gelacht, die 2010 dann doch Interesse bekundet haben, selbst in die Region zu reisen.
RWE war Hauptsponsor der RUHR.2010. Können Sie bereits abschätzen, inwiefern sich dieses Engagement für den Konzern ausgezahlt hat?
Muschick: Ja, wir haben die Wirkung des Sponsoring evaluiert. 500 Leute im Ruhrgebiet wurden befragt. RWE ist als Hauptsponsor bekannt und die Imagewerte sind gestiegen. Auch die RWE-Mitarbeiter haben das Engagement im Kulturhauptstadtjahr positiv zur Kenntnis genommen.
Bestärkt Sie das darin, dass der Konzern weiterhin Kunstsponsoring betreiben sollte?
Muschick: Wir werden auf jeden Fall weiter in der Kulturförderung aktiv sein. Insbesondere auch über die RWE Stiftung. Wir haben aus dem Kulturhauptstadt-Engagement aber auch gelernt, dass große Sponsorings nicht unbedingt als Instrument für inhaltliche Diskurse geeignet sind. Dass RWE zum Beispiel das Ruhr-Atoll gesponsert hat, weil es da ja speziell um die Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energien ging, ist weniger ins Bewusstsein gedrungen. Andere Formate sind da möglicher Weise wirkungsvoller.
Momentan wird vor allem darüber diskutiert, wie nachhaltig die Wirkung des Kulturhauptstadt-Engagements sein wird.
Muschick: Ich denke, das wird davon abhängen, ob in den nächsten Monaten weiterhin verstärkt an den Ansätzen gearbeitet wird, die im Kulturhauptstadtjahr zu sehen waren. Die Gefahr, dass die positiven Wirkungen verpuffen, besteht natürlich. Vor allem auch die Gefahr, dass die Ruhrgebietsstädte wieder in ihr altes Konkurrenzdenken zurückverfallen.
Die Vereinzelung der Städte in der Region scheint ein Problem zu sein. Immer mehr Stimmen werden laut, die den aufgestülpten Metropolenbegriff kritisieren und die Idee einer Metropole Ruhr als gescheitert ansehen. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, statt Metropole Ruhr Metropolregion Ruhr zu sagen…
Muschick: …oder einfach Ruhrgebiet. Dieser Metropolengedanke ist ja eigentlich Unsinn. Das Ruhrgebiet ist eben keine Metropole – jedenfalls nicht im Vergleich mit New York oder London. Aber gerade die Dezentralität und die Vielfalt im Ruhrgebiet machen den Reiz der Region aus und können Nutzen bringen. Diese Vielfalt kann als Chance begriffen werden, um zum Beispiel Projekte zur kulturellen Bildung auszuprobieren.
Welche Rolle spielt kulturelle Bildung in einer Region wie dem Ruhrgebiet?
Muschick: Eine wichtige. Das gilt aber nicht nur speziell für das Ruhrgebiet, sondern insgesamt für Regionen, in denen Menschen unterschiedlichster kultureller, ethnischer Hintergründe und unterschiedlicher Bildung zusammentreffen. Kulturelle Bildung hat ein stark integratives Element. Sie kann zwar nicht alle Probleme einer Region lösen, aber sie kann unterstützend wirken und z.B. helfen, miteinander den Dialog aufzunehmen.
Das Motto der Kulturhauptstadt war „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“. Welche Rolle spielt Kulturförderung in der Region?
Muschick: Da gilt das Gleiche. Kultur hilft Prozesse und Dialoge anzustoßen. Aber sie kann nicht die gesamten strukturellen Probleme der Region lösen. Da ist ein Zusammenspiel von Bildung, Politik und Wirtschaft mindestens genau so relevant. Das kulturelle Angebot der Region ist nur einer von vielen Standortfaktoren. Es ist wichtig für die Identifikation der Menschen hier, genau so wie für die Imagewirkung nach außen. Aber Kultur bietet keine alleinige Lösung.
Also bleibt die Idee, dass die Schwerindustrie in der Region durch Kultur- und Kreativwirtschaft ersetzt wird, eine Illusion?
Muschick: Ich glaube, der Ansatz für die Region kann nicht „Schwerindustrie versus Kulturwirtschaft“ lauten. Die Industrie muss genau so einen Beitrag leisten wie die Kultur. Im Ruhrgebiet wurden Industrie und Konzerne lange Zeit als etwas „Schmutziges“ und „Großes“ verteufelt, das man hier nicht mehr haben wollte. Aber ohne Industrie werden sich die Probleme der Region nicht lösen lassen. Hinzu kommt, dass die Kulturwirtschaft häufig auf das Engagement erfolgreicher Industrieunternehmen angewiesen ist. Selbst ein Museum Folkwang hätte ohne private Förderung wahrscheinlich wenige Chancen in der Region zu bestehen.
Damit sind wir bei der Frage unternehmerischer Verantwortung. Inwiefern tragen Unternehmen Verantwortung für die Kulturförderung in der Region?
Muschick: Insofern als Unternehmen Teil der Gesellschaft und Teil der Region sind und deshalb auch ein Interesse an der Entwicklung der Region haben sollten. Eine solche Entwicklung muss aber gemeinsam stattfinden. Die unternehmerische Verantwortung endet spätestens da, wo die öffentliche Hand sich aufgrund knapper Kassen ganz aus der Basisförderung zurückzieht.
Also haben Unternehmen der Region gegenüber eine gewisse Bringschuld in Sachen Kulturförderung?
Muschick: Nicht in dem Sinne, dass man ein Unternehmen in die Pflicht nehmen könnte, soundsoviel Prozent der Gewinne in Kulturförderung zu stecken. Aber insofern als sie ein Interesse an der kulturellen Entwicklung ihrer Region haben und sich einem solchen Engagement nicht entziehen sollten. Wenn ein Unternehmen sich der Verantwortung gegenüber der Region entzieht, wird es an Akzeptanz verlieren. Letztlich fördern große Konzerne Kultur selten aus rein mäzenatischen Zwecken. Auch die Entwicklung eines Standortes ist einem gewissen Eigeninteresse geschuldet.
Diskutiert wird häufig auch der Nutzen von Kulturförderung und kultureller Bildung im eigenen Unternehmen. Was sind da Ihre Erwartungen und Erfahrungen, was bringt kulturelles Engagement den eigenen Mitarbeitern?
Muschick: Erwartungen sollte man da nicht zu hoch stecken. Bei einem Konzern wie RWE kann Kultur nie ganz oben auf der Agenda stehen. Wenn es um die Kompetenz der Mitarbeiter geht, stehen da zunächst konkretere Skills im Vordergrund. Aber wenn man ohnehin Kultur fördert, sollte man auf jeden Fall auch die Mitarbeiter mit einbinden. Da spielt dann die Vermittlung eine wichtige Rolle. Es müssen Brücken geschaffen werden zur Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter. Wenn etwas zu „abgefahren“ ist, wie das teilweise bei den Ausstellungen des Museums Folkwang bei uns der Fall war, wird es schwierig, die Mitarbeiter zu erreichen. Wichtig ist, dass immer ein Ankerpunkt gefunden wird, um einen inhaltlichen Bezugspunkt herzustellen, mit dem die Mitarbeiter etwas anfangen können.
Was für ein Ankerpunkt könnte das speziell für RWE sein?
Muschick: Zum Beispiel das Energiethema, das schon im Kulturhauptstadtjahr für uns im Vordergrund stehen sollte. Aber eben nicht mehr unbedingt im Rahmen der großen Sponsorings, sondern etwa in unserem Artist in Residence Programm. Da setzen sich dann beispielsweise junge Fotografen mit dem Thema Energie auseinander. Sie beziehen durchaus kritische Positionen dabei. Damit wird zwar nicht die breite Öffentlichkeit erreicht, aber wir kommen mit kritischen Gruppen ins Gespräch und fördern auf diese Art den gesellschaftlichen Diskurs.