Was für eine Kulturpolitik – und wenn ja, wie viel?

Was für eine Kulturpolitik – und wenn ja, wie viel?

Viele Kunst- und Kulturschaffende hatten und haben mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Folglich sollte man erwarten, dass die Wahlprogramme zur Bundestagswahl sich diesem Bereich besonders zuwenden.

Wie steht es also um Kunst- und Kultur inmitten von “Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr” (CDU/CSU)1, “Schwerpunktstaatsanwaltschaften” (SPD), “Rohstoffrückgewinnungstechniken” (AfD), “Wirtschaftspartnerschaftsabkommen” (FDP) und “Arbeitnehmervertretungsstrukturen” (Linke)? Begeben wir uns auf eine “Fact-Finding-Mission” (Grüne).

Wenig überraschend findet sich der jeweilige Kulturabschnitt meist auf den hinteren Seiten der Programme, im Umfeld vieler Themen, die in der politischen Debatte gern unter “Gedöns” einsortiert werden. Wer also nicht die Zeit oder Lust hat, ganze Wahlprogramme zu studieren: auch ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis kann aufschlussreich sein.

Abbildung 1: Anzahl der Wörter in den Parteiprogrammen zur BTW 2021 (Daten: Brettschneider/Thoms und eigene Auswertung)

In quantitativer Hinsicht wird die Kulturpolitik jeweils auf 1-2 Seiten abgehandelt (zwischen 500 und 1500 Wörtern; siehe Abbildung 1). Inhaltlich referieren die Programme weitgehend erwartbare Stichpunkte: Kultur wird mit dem Besteck des nachhaltig konsequenten Forders, Förderns und Stärkens bearbeitet – originelle Ideen finden sich nur vereinzelt. Der Versuch einer Übersicht der angerissenen Themen ist in Abbildung 2 dargestellt. Einen interessanten Einblick in die jeweilige Konzeption von “Kultur” ermöglicht die Übersicht der erwähnten (und auch der in keinem der Programme erwähnten!) “Genres”.

Abbildung 2: Themen im Abschnitt Kulturpolitik in den Parteiprogrammen zur BTW 2021 (eigene Auswertung)

Mit Bronnbacher Brille sticht primär die Idee eines “Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit” im Programm der Grünen heraus, der etwas sperrig beschrieben wird als “ein Instrument zur ressort-übergreifenden, transdisziplinären Förderung (…) das den Aufbau von langfristigen Strukturen ermöglicht sowie freie Experimentier- und Handlungsräume schafft” und hierbei explizit die Zusammenarbeit von “Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft” erreichen möchte.

Grundsätzlichere Gedanken zur Rolle von Kultur in der Gesellschaft sowie den Möglichkeiten und Grenzen politischer Gestaltung finden sich auch in zwei kürzlich in der ZEIT veröffentlichten Gastbeiträgen.

So konstatiert das Autorenduo Carsten Brosda/Olaf Scholz (SPD) (ZEIT 37/2021) mit einer Prise Demut und in interessantem Spannungsverhältnis zum eigenen Wahlprogramm, dass sich kulturelle Impulse für die gesellschaftliche Diskussion nicht “herbeiverwalten” ließen und regt stattdessen eine gesellschaftliche “great debate” an. Gesellschaftliches Gestalten bedingt für sie einen Dialog von Politik und Kunst, deren “intellektuelle und kreative Kraft” auch in den politischen Prozess einfließen sollte, ihn “leidenschaftlich mitgestalten”, um der Gesellschaft zu helfen, “sich selbst klarer und schärfer zu sehen”.

Monika Grütters und Joe Chialo (CDU) (ZEIT 38/2021) wittern in den Zeilen der Konkurrenz den Versuch einer Vereinnahmung der Kunst durch die Politik, und positionieren sich gleich zu Beginn im Zuschauerraum (“Wir, das Publikum”). Sie blicken, folglich mit etwas Distanz, auf eine Kultur die es zu fördern gilt, rühmen die Leistungsbilanz von Angela Merkel (“Bundeskulturetat verdoppelt”) sowie “gestiegenes Volumen und gewachsene Bedeutung” der Kulturförderung. Gleich mehrfach verweisen sie darauf, dass sich die Gesellschaft zunächst darüber verständigen müsste, was “uns die Kultur insgesamt wert ist” um nur wenig später zu betonen, die Kultur- und Kreativwirtschaft sei, gemessen an Umsatz und Beschäftigten, die zweitgrößte Branche in Deutschland (“noch vor der Chemieindustrie”). Am Ende steht das Fazit, Kultur sorge für die “Lagerfeuermomente des 21. Jahrhunderts” und sei “keine Delikatesse für Feinschmecker, sondern Brot für alle.”

Dabei, könnte man entgegnen, hat die Pandemie uns doch gerade erst gelehrt, dass die eigene Auseinandersetzung mit Wasser und Mehl uns helfen kann auf den Geschmack zu kommen, und eine neue Wertschätzung zu entwickeln für das, was man gemeinhin als “Backkultur” bezeichnet.

Die kulturpolitischen Vorstellungen der Parteien zur Bundestagswahl, soweit kann man feststellen, tendieren trotz aller Bekenntnisse zur “Kultur als Staatsziel” jedenfalls eher zu kleinen Brötchen.


1 Beispiele via Frank Brettschneider/Claudia Thoms: Wahlprogramm-Check 2021: Bundestagswahl. Weitere Analysen und Kommentare zur Kulturpolik in den Programmen zur Bundestagswahl finden sich unter anderem beim ZDF Kulturzeit “Kultur-TÜV”, beim WDR Radio, dem Deutschlandfunk auf Kulturnews.de oder bei der Kulturpolitischen Gesellschaft.

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