Menschen kommen als Beziehungswesen auf die Welt
von Konstantin Adamopoulos, der in diesem Vorwort zum Jahrbuch des 15. Bronnbacher Jahrgangs seine Rolle und Verantwortung als Kurator des Bronnbacher Stipendienprogramms reflektiert.
„Fordern ist alt. Machen immer neu. Und nie erfolgreich. Oder mal auch doch. Leben geht.“ Der Künstler Enno Schmidt schrieb mir kürzlich diese lapidaren Zeilen als Kommentar auf meine Weiterleitung zu „Das konvivialistische Manifest“. Bewusstes Leben stolpert immer wieder über Zweifel, Unsicherheit, Widersprüche und Ansprüche! Nicht-Können und Nicht-Wissen, sich frei für andere zum Gegenüber zu machen, darin liegt die Kompetenz zur Formfindung in der Kunst begründet. Das macht für mich die Auseinandersetzung mit Kunst und Künstler*innen so reich. „MAKE THE SECRETS PRODUCTIVE“, „zeige deine Wunde“ nennt das Joseph Beuys und als heilsamen Ort gibt er an: „DAS ATELIER IST ZWISCHEN DEN MENSCHEN“.
Menschen kommen als Beziehungswesen auf die Welt. Menschen entstehen in und aus einer Beziehung, wie auch immer diese individuell und kulturell überformt ist. Menschen streben, wollen verbessern. Darin liegt der Grund, warum wir uns helfen können, unsere Wunden aufzeigen zu lernen, damit diese Eigenarten dann produktiv werden können. Wir sind voneinander abhängig. Wir ergänzen uns. Wir differenzieren unsere Ansätze und Möglichkeiten aneinander aus. Wir entdecken uns letztlich erst am Anderen ICH als „Ich“, am Fremden, Unbekannten, Unvollendeten in mir. Dafür ist die Kunst ein Übungsfeld. Wir sind arbeitsteilig und wir sind individuell. Das ist der Spagat, doch je mehr wir für andere tätig sind, je besser teilen sich die Aufgaben, was uns schützt und nährt.
Als Individuum und als Gesellschaft sind wir abhängig von den Leistungen anderer. Als Einzelne brauchen wir den Schutz und die Unterstützung, um unsere ureigene Aufgabe herausschälen zu können. Das Ureigene produktiv zu machen, das ist der substanzielle gesellschaftliche Beitrag des Einzelnen, weniger die Erfüllung von Vorgaben. Unsere jeweiligen Eigenarten bieten uns und anderen einen großen Teil unserer Innovationskraft. Wir sollten einander ein schützender Kreis sein, um klären zu helfen, das Individuelle produktiv hervorzubringen. Nicht nur in Organisationen agieren wir oft wie periphere Teile von Kreisen oder Kugelflächen bezogen auf andere und sind darin selbst wiederum durchdrungen wirksam von anderen, mehr oder weniger bewusst. Gleichzeitig sind wir oft Zentrum für andere und deren Wirkung, was wir uns ebenfalls kaum bewusstmachen. Das sollten wir wahrnehmen lernen, genießen und nutzen, denn es ist unsere Uraufgabe, uns selbst zu realisieren, wofür wir die Schutzhülle all der anderen brauchen können. Tatsächlich beschreibt das alles einen großen Anspruch, dem ich kaum gerecht werden kann, trotzdem soll es mich leiten, wie der Stern die drei Magier.
Nun ist da der 15. Bronnbacher Jahrgang, der mit 19 Stipendiat*innen startete. Die besondere Art der Produktivität des Jahrgangs mag daher rühren, dass die Hälfte vom KIT stammt, die andere von der Uni Mannheim. Als Gruppe emanzipierten sich die Neuen organisatorisch mit dem Eröffnungswochenende im März 2018 recht schnell von mir, als dem verantwortlichen Kurator. Diese heterogene Gruppe hat ungemein viel geschafft und geackert, an den Abenden während der regulären Kunstwochenenden, vorausplanend, nicht zuletzt für das Alumniwochenende Ende Februar 2019 und das geplante Jahrbuch. Ich habe aus den Rückmeldungen dazu meine Lehren gezogen und danke sehr für diese wichtigen Hinweise, in der Organisation präsenter zu sein. Die Alumni waren den aktuellen Stipendiat*innen zunächst eine unbekannte Größe, für die es allerdings sehr viel zu leisten galt. Den Stolz auf das Geleistete am Alumniwochenende spiegelt sich in dem vielfach geäußerten Satz der Gäste: „Da habt ihr die Latte für die nächsten Jahrgänge hoch gehängt.“ In meinem Kopf tauchen Fragen auf: Ging es zu viel um das gekonnte Organisieren? Ist es das, was hängen bleiben wird? Im Jahrbuch werden Antworten stehen. Habe ich mir genug Premiumzeit mit dieser sehr großen Gruppe genommen, um genügend oft notwendige Einzelgespräche zu führen oder mit wechselnden Grüppchen zu vertiefen, was sich vielleicht da und dort anstaute?
Jetzt setze ich auf die kommenden Jahre, die auch dieser Jahrgang und ich vor uns liegen haben und auf mein Angebot für weitere Zusammenkünfte. Ich setze immer auf die kommenden Jahre. Mein ganzes Streben zielt darauf, Teil eines Aufbaus zu sein, zu wachsen und dabei meine Haltung immer beziehungsreicher und einfacher werden zu lassen. Die Stipendiat*innen des 15. Jahrgangs sind jetzt selbst Bronnbacher Alumni. Mein Wunsch ist, dass sie sich nach ihrem Programmjahr als Bronnbacher*innen entdecken, dass sie darin ihre Wirksamkeit im Sozialen wie im Kulturellen erfahren, dass sie in Unternehmen und Organisationen als Bronnbacher*innen einen Unterschied machen, weg von maschinengleichen Versuchen, als Menschen vorhersehbar in Funktionsabläufe zu passen. Das sollen lieber mehr und mehr Maschinen übernehmen, wenn es denn hilfreich ist, dafür, dass sich Menschen gerade in ihrer Unterschiedlichkeit erkennen und stützen lernen.