Fluss mit E
Trotz Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet wäre es mir früher beim Stadt-Land-Fluss-Spielen nicht eingefallen, als „Fluss mit E“ die Emscher zu nennen. Durch den Emscher-Umbau wird sich das Image der Emscher aber grundlegend ändern. Und auch wenn das Baden dort momentan noch keine gute Idee ist, lohnt sich schon jetzt der Besuch des Emschertals. Von Sarah Meyer-Dietrich.
Gestern
Es war einmal, vor langer langer Zeit, ein Fluss, der schlängelte sich durch eine Landschaft, die später als Ruhrgebiet bekannt werden würde. So könnte man das Märchen der Emscher erzählen. Das kein Märchen ist. Bloß Vergangenheit. Denn die Emscher war tatsächlich einst ein sauberer und natürlicher Fluss.
Heute
Im Zuge der Industrialisierung jedoch wurde das Ruhrgebiet zum Ballungsraum von Menschen und Industrie. Beide machen Dreck, der abgeleitet werden muss, in diesem Fall: in die Emscher. Die dadurch immer weniger Fluss und immer mehr Abfluss wurde. Diverse Eingriffe in den Flusslauf taten ihr übriges. Kein Wunder also, wenn mir bei „Fluss mit E“ erst einmal die Ems und die Elbe einfallen.
Morgen
Dass sich das in nicht allzu ferner Zukunft ändern wird, liegt daran, dass die Emscher eine der eindeutigen Gewinnerinnen des Strukturwandels ist. Das Schließen der Zechen in der Region reduziert die Gefahr von Bergsenkungen. Und erlaubt es, einen unterirdischen Emscher-Kanal anzulegen, durch den das Abwasser künftig fließen soll. So dass die Emscher von einem betonierten Abwasserkanal wieder zu einem Fluss werden kann.
Die Umgestaltung des Emschertals (kein Tal im eigentlichen Sinne, aber der weit gefasste Landschaftsraum rund um die Emscher) ist ein langfristiges, ein Generationenprojekt. In den 1990er Jahren wurden durch die Internationale Bauausstellung Emscherpark erste Impulse zur Umgestaltung gesetzt, im Jahr 2020 soll die Renaturierung abgeschlossen sein.
Die Entwicklung muss von sehr viel mehr als nur technischen und ökologischen Maßnahmen begleitet werden. Man kann den Menschen in der Region schließlich nicht einfach irgendwann sagen:
“Hier habt ihr euren Fluss wieder.”
Sanft und in langwierigen Prozessen wird die Emscher wieder zum Fluss. Sanft und in offenen Dialogen muss der Fluss zurück zu den Menschen gebracht, wieder in die Region eingebettet werden.
Emscherkunst
Der Dialog über den Emscher-Umbau wird insbesondere durch Kunstprojekte eröffnet. Eines dieser Projekte war im Kulturhauptstadtjahr die Ausstellung Emscherkunst.2010, die den Umbau künstlerisch und landschaftsarchitektonisch begleiten sollte. Die Ausstellung stieß auf so viel Interesse, dass die Emscherkunst nun als Triennale eine feste Institution im Ruhrgebiet werden soll. Die Emscherkunst.2013 ist bereits in Planung.
Die Zeit bis dahin kann man damit überbrücken, diejenigen Teile der Ausstellung zu begutachten, die als dauerhafte Installationen geblieben sind.
Die folgenden Stationen sind auf jeden Fall einen Ausflug wert:
Oberhausen: Slinky Springs to Fame
In weichen Schlangenbewegungen führt die von Tobias Rehberger entworfene Brücke über – nein, nicht über die Emscher, – über den Rhein-Herne-Kanal. Aber auf die Emscherinsel, die die beiden Gewässer voneinander trennt. Federnd, von einer Spiralkonstruktion umgeben, der Boden farbig gestreift, ist Rehbergers Skulptur nicht bloß eine Brücke. Eher ein Spazierweg.
Mit Ausblick. Neben dem Rhein-Herne-Kanal, der so viel mehr wie ein Fluss wirkt als die Emscher, sind auch typische Symbole des Ruhrgebiets zu sehen: die Flutlichter eines Fußballstadions (Rot-weiß Oberhausen) und die Industriekultur in Form des Gasometers.
Bottrop: Bernepark
Die Emscherkunst soll der Bevölkerung nicht nur den Emscher-Umbau nahe bringen, sondern auch „verbotene Orte“ wieder zugänglich machen und Lebensqualität zurückbringen. Wunderbar zu sehen am Beispiel des Berneparks, dem Gelände einer ehemaligen Kläranlage. Piet Oudolf hat gemeinsam mit GROSS.MAX die beiden Klärbecken landschaftsarchitektonisch gestaltet. Das eine Becken zu einer Art Teich umfunktioniert, in dem sogar ein paar Goldfische leben, das andere Becken zu einem Garten. Mischa Kuball hat zudem den Rand des Wasserbassins mit Lichtkunst gestaltet.
Als Anspielung auf die Produktwerbungen der 50er-Jahre darf der Schriftzug „Catch as catch can“ auf dem Dach des denkmalgeschützten Betriebspavillons aus den späten 50er-Jahren verstanden werden, eine Konstruktion des Konzeptkünstlers Lawrence Weiner.
Im Pavillon lädt Gastronomie zum Verweilen ein. Einen Spielplatz gibt es auch. Die Bevölkerung hat ihren „verbotenen Ort“ zurück.
Gelsenkirchen: Monument for a Forgotten Future
Auf der Wilden Insel, eher ab vom Schuss, findet sich mitten in Gelsenkirchen ein bisschen US-Nationalpark. Die Skulptur der Konzeptkünstler Olaf Nicolai und Douglas Gordon ist eine Nachbildung eines Felsens im Joshua Tree Nationalpark – nur etwas kleiner als das Original. Aus seinem Inneren klingen sphärische Klänge. Ein Fall für die drei ??? mag man meinen, aber die Lösung ist einfach: Im Inneren des Berges erklingt Musik, die die Gruppe Mogwai extra zu diesem Zweck und für diesen Ort komponiert hat, aus einer Musikanlage.
Rätselhafter ist der Name des Kunstwerks: „Monument for a Forgotten Future“. Spielt der Titel auf die Situation Gelsenkirchens an? Auf die Situation dieser Stadt, die der Strukturwandel besonders hart getroffen hat? Viel mehr als Fußball und ein Spitzenplatz in den NRW-Arbeitslosenstatistiken ist der Stadt nach dem Zechensterben nicht geblieben. Zwar hat die Kultur Ruhr GmbH hier ihren Sitz, die Ruhrtriennale-Veranstaltungen finden aber andernorts statt. Vielleicht wollten die Künstler mit dem Monument ein Mahnmal setzen, das an eine Zukunft erinnern soll, die möglich sein könnte. Die möglich ist, wenn die Menschen hier nicht zulassen, dass ihre Träume verschüttet werden.
Castrop-Rauxel: Walkway and Tower
Und schließlich findet sich in Castrop-Rauxel, nahe dem Wasserkreuz, an dem die Emscher unter dem Rhein-Herne-Kanal hindurch geleitet werden soll, die halbtemporäre Installation des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata. Ein schlichter Holzturm, begehbar, dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Über die Jahre hinweg wird er verwittern, vergehen.
Kawamata spielt in seinen Werken oft mit dem Werden und Vergehen, dem Prozesshaften, der Vergänglichkeit. Ob der Turm noch stehen wird, wenn 2020 der Emscher-Umbau abgeschlossen ist, und man vom Turm aus einen Blick auf den renaturierten Fluss werfen könnte? Auf diesen Fluss, der keiner ist, aber wieder einer sein wird. Diesen Fluss, der selbst viel vom Werden und Vergehen erzählen könnte. Vom Werden einer Industrieregion, von ihrem Vergehen, von ihrem Wandel. Diesen Fluss, der Märchen erzählen könnte: Es wird einmal sein.
Stadt mit M
Es wird einmal sein, dass die Ruhrpottkinder in den Sommermonaten in der Emscher schwimmen. In diesem Fluss mit E. Und sich beim Stadt-Land-Fluss-Spielen darum streiten, ob Metropole Ruhr eine Stadt mit M ist.
Demnächst mehr
Die Ausstellung Emscherkunst ist nur eines der Kunstprojekte, mit denen die Emschergenossenschaft den Dialog anregen will. Mehr Informationen gibt es demnächst hier in einem Interview.