Elefanten kooperieren – Eine Perspektive der Evolutionsbiologie

Foto: Greenpeace Deutschland
Elefanten kooperieren, so eine Schlagzeile des 07.03.2011 der meisten überregionalen Zeitungen, nach einer Veröffentlichung im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences USA“ von Frans de Waal und Kollegen. Doch was ist Kooperation eigentlich und warum existiert sie? Eine Perspektive der Evolutionsbiologie.
Von Sebastian Gottfried
Kooperation ist alt in der Geschichte des Lebens. Sofern die Endosymbiontentheorie beim Leser auf Glauben stößt, ist es rund 2,5 Milliarden Jahre her, dass Cyano- bzw. Purpurbakterien eine stabile Kooperation mit Archaebakterien eingingen und so die Grundlage für vielzellige Organismen wie Pflanzen, Pilze und Tiere schafften. Diese Symbiose geschah angeblich nur einmal. Hier handelt es sich also um stabile Kooperation! In dieser Seltenheit aber auch in dieser Persistenz sieht der Evolutions- und Soziobiologe Prof. Dr. Jacobus Boomsma die eigentlichen Charakteristika von Kooperation. Er arbeitet am „Center of Social Evolution“ (CSE) in Kopenhagen und ich konnte ein ausgiebiges Gespräch über soziale Evolution und die Entwicklung von Kooperation mit ihm führen.
Dem Menschen erscheint es in seiner Natur als soziales Wesen ganz selbstverständlich, dass Kooperation stets einen Mehrwert generiert, der von einzelnen Individuen allein nicht hervorgebracht werden kann. Praktisch jede Lebenssituation ist mit dieser Grundidee angefüllt und alles, was Menschen heute schaffen, basiert auf dieser einfachen Idee. Was wir dabei schnell vergessen ist, dass ein großes Maß an Vertrauen für Kooperation notwendig ist. Prof. Boomsma forscht an sozialen Insekten (Ameisen, Termiten, Bienen), um sich den Grundprinzipien sozialen Handelns zu nähern und glaubt hier zwei Grundregeln gefunden zu haben. Wenn es eine Chance gibt, etwas Besseres zu erreichen, wird sie wahrgenommen. Kooperation funktioniert, solange Opportunismus wirksam unterdrückt werden kann und einen zu hohen Preis hat.
Da viele das aus dem täglichen Leben kennen, stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Ameisen und Menschen. An Menschen kann Prof. Boomsma nicht forschen, denn hier interferiert die Kultur zu sehr mit den eigentlichen Absichten des Individuums. Kultur, dieser zentrale Begriff bedeutet jedoch nicht, dass Menschen nicht stets an den eigenen Vorteil denken. Trotzdem ist Kultur ein System, welches Opportunismus oder Regelverstöße unterdrückt.
Kultur, das einzige, was uns von Blattschneideameisen unterscheidet? Blattschneideameisen leben wie Menschen in großen Kollektiven (bis zu 5 Mio. Individuen) und haben eine arbeitsteilige Organisation. Sie tauschen komplexe Informationen über ihre eigene Koloniezugehörigkeit aus und haben ein breites chemisches Vokabular. Sie erkennen Feinde und Kolonien leisten sich stehende Soldatenheere. Es gelten Verhaltensregeln und Regelverstöße werden bestraft (oft übrigens mit Verbannung oder dem Tod). Ameisen betreiben Landwirtschaft zur Ernährungssicherung (streng genommen leben sie sogar in ihrer Nahrung). Kolonien kultivieren einen (!) Pilz, der von ihnen gefüttert wird und der in einer wechselseitigen Abhängigkeit von den Ameisen lebt. Die Ameisen nutzen für sich, wie auch für ihren Pilz z.T. Antibiotika, um Krankheitserreger abzutöten, sie nutzen diese jedoch nachweislich weiser als Menschen, da sie sparsam mit diesen Stoffen umgehen und sie sehr gezielt einsetzen. Somit zeigt sich auch ein belastbares Gesundheitssystem. Nach momentanem Erkenntnisstand leben Blattschneideameisen bereits seit 50 Millionen Jahren so.
Warum funktioniert die Beziehung zwischen den Ameisen und dem Pilz, warum funktioniert die Beziehung zwischen den Ameisen. Würde der Pilz einen Fruchtkörper bilden und sporen, wäre er für die Ameisen verloren, die Kolonie würde verhungern. Die Ameisen haben ihrerseits die Möglichkeit zu versuchen, einen anderen Pilz zu züchten, der bessere Erträge bringt. Damit stirbt der alte Pilz, der nicht mehr versorgt wird. Hier sieht Prof. Boomsma einen Schlüssel in persistenten Interaktionen. Die mögliche Strafe für Opportunismus, sprich, mehr für sich selbst herauszuholen, muss für beide Interaktionspartner zu hoch sein, um die Interaktion zu gefährden. Wir sehen dies in der Gesellschaft und in jeglicher Art der Interaktion. Wir sehen Menschen, wie sie in entscheidenden Situationen abwägen zwischen den Optionen, eine Chance wahrzunehmen oder sich an bestehende Kooperationen zu halten. Kultur und Ethik geben den Menschen einen Handlungsrahmen der über die Instinktsteuerung hinaus geht.
Auch soziale Parasiten werden von Prof. Boomsma studiert und es gibt eine Vielzahl von Strategien, den „Ameisensozialstaat“ auszubeuten. Es gibt Ameisenarten, die von den Soldaten der „Gastgeberkolonie“ unbemerkt bleiben und in dieser Kolonie auf Kosten des Gastgebers ihre Jungen aufziehen. Genau umgekehrt macht es eine Käferlarve, die von den Arbeitern des Gastgebers als eigene Larve erkannt wird und so in die Brutstätten getragen wird (hier frisst die Larve auch die Ameisen). Es gibt auch räuberische Kolonien, die andere Kolonien überfallen und sich ordentlich satt essen am Pilz ihrer Opfer. Auch das Siedeln in der Nähe fleißiger Kolonien ist für einen bestimmten (wohl eher faulen) Stamm üblich. Sie bedienen sich einfach selbst an den Pilzausläufern der Fleißigen.
Wie sie merken, driftet man als Mensch gern in wertende Denkmuster über moralisch korrektes und inkorrektes Verhalten ab. Das ist es, was ich an der Biologie schätze, denn hier fehlt das Werturteil zugunsten von Opportunismus. Wenn der eine Stamm nicht aufpasst und den Preis von besserer Verteidigung nicht auf sich nimmt, ist es aus biologischer Sicht „logisch“, dass sich „jemand“ findet, der das ausnutzt. Hier sollte die Kultur schützen, die Moral das biologische Bild verzerren. Ob das wirklich passiert, überlasse ich dem Urteil des Lesers.
Ich danke Dr. Rachelle Adams, die mir die unterschiedlichen Strategien sozialer Parasiten näher gebracht hat, und das Gespräch mit Prof. Dr. Boomsma ermöglichte.