dOCUMENTA(13): Meine ersten Impressionen

dOCUMENTA(13): Meine ersten Impressionen

"Zurück zum Film" (Foto dOCUMENTA)Lebensstories, “Realitäten”, Rollen: Darauf sollen die Künstler bei der dOCUMENTA(13) auf verschiedenen Bühnen hinweisen können. Darum gehe es, so Leiterin Carolyn Christov Bakargiev. Ein erster, ganz subjektiver Erfahrunsgbericht.  Von Konstantin Adamopoulos


Ich bin in meinem Hotel zurück von einem reichen Tag mit Kunst. Woran mache ich das fest? Ich habe mich auf meinen Instinkt verlassen. Ich habe Menschen und Kunstwerke getroffen. Ich habe sie begleitet, für ihr So-sein bewundert und auch wieder ziehen lassen. Jetzt im Hotel bietet sich mir also die Chance etwas dazu aufzuschreiben und mir daraus eine zumindest für mich im Moment plausible Geschichte zu zimmern.

Die Tagesrückschau erzählt den Tag rückwärts und strauchelt dabei, weil das Erzählen eben immer auch eine lineare Struktur bahnt. Vorwärts erzählen, rückwärts erinnern. Rückwärts erzählen, vorwärts erinnern.

Nun, gerade komme ich aus der Spätvorstellung von Mario Garcia Torres´ dOCUMENTA(13)-Film “Tea”. Davor hatte ich schon das letzte Viertel der Filmpremiere dieses wundervoll zartatmosphärischen Films miterleben können und das anschließende Gespräch mit dem Künstler.

Um es vorweg zu nehmen: am Ende dieses ersten Tages hatte ich den (vorschnellen) Eindruck: einige sind nicht zu dieser dOCUMENTA eingeladen, weil ihre Kunst nicht oder zuwenig romantisch, wehmütig, melancholisch erscheinen mag.

Zurück zum Film: der Filmmacher nutzt den 1994 verstorbenen Künstler, den Italiener Alighiero Boetti, als Vorwand für seine künstlerische Recherche. Boetti lebte einige wichtige Jahre seines Lebens in Kabul, Afghanistan. Boetti nannte sich auch Alighiero e Boetti, um widersprüchliche Aspekte in seiner Kunst auch schon in seinem Künstlerpseudonym anzudeuten. Der Film des mexikanischen Künstlers Mario Garcia Torres ist wunderschön in seiner stillen Art mich als Publikum einzubinden in eine atmende Bewegung. Zu sagen in diesem Film herrsche keine Konsistenz von Ort und Zeit wäre einfach zu dürr: Die Bildführung wechselt unaufgeregt zwischen Orten (mal Kabul; mal Mexiko City, mal Landschaften, mal wieder Stadtimpressionen). Zeiten wandern in einem nachträglich ankommenden Bogen (Sequenzen nach der Recherchereise, Reisebilder von hier und von dort, abgefilmtes historisches Fotomaterial, Sequenzen “zuhause” nach der Reise).

Auch Erzählstile werden “gebrochen” bzw. glücklich unvermittelt gesetzt (am Anfang und am Ende die Stimme aus den Radionachrichten, mal eine männliche und mal eine weibliche OFF-Stimme mit unterschiedbaren “Logiken”, dann wieder die Autorenstimme selbst und so fort – immer fühlbar stimmig passend). Die Lichtqualitäten sind so offensiv eingesetzt, dass ich sie fast überhaupt nicht aktiv bemerken wollte, so sehr wollte ich das Eingesogen sein auskosten (reale Dämmerungen, eingefilterte Ausblendungen, Nachtaufnahmen, Alltagslicht, Innenraum-Aussenraum-Differenzen). Auch die Klangtonspuren wurden in kaum merkliche Asynchronität geführt, um Bild und “Tonkommentar” der Alltagsgeräusche intensiver oder vielleicht damit neu zu verzahnen.

Warum erzähle ich so viel dazu?

Wieder linear im Kommentarstil: diese dOCUMENTA will offensichtlich Quellen für Storytelling aufstoßen zwischen Fiktionen und “Realität” oder besser zwischen Utopien und Weltenrealitäten. Es scheint also einen roten Faden zu geben zwischen den diversen Werken, die ich heute als für mich berührend empfand, vielleicht auch weil die Kuratorin in ihrer morgendlichen Rede keinen Zweifel lassen wollte. Sie sucht keine Statements. Sie würdigt Gleichzeitigkeiten, Überscheidungen von Gegenwart, Vergangenheit und Fiktion.

Wofür kann das wichtig sein?

Dieser romantische Blick oder vielleicht auch besinnend melancholische Blick, den ich heute hier wahrgenommen habe, will bewusst nachdenklich sein, um sich dabei eine Frage zu erlauben: Kann es auch ganz anders sein, selbst wenn ich die auffindbaren Fakten nutze? Kann ich damit auch einmal aus meiner verabredeten Wirklichkeit aussteigen und welche Fragen würden sich aus dieser “neuen” Sicht für meinen “normalen” Alltag rückwirkend ergeben? Die Dinge und Sachverhalte aufzunehmen, bedeutet auch willkürlich oder künstlerisch bewusst gesteuert “Fakten” auszuwählen, um sie damit schon wieder neu zu verweben als erzählte Realität. – Zeigt mir diese Offenlegung einer Methode der Konstruiertheit von Welt etwas über mich, was ich noch nicht weiss über mich?

Nur noch ein weiteres Schlaglicht aus meinem ersten Tag auf der dOCUMENTA(13):

In der Karlsaue, die traditionell als Skulpturenpark der dOCUMENTA fungiert, finden sich ungemein viele je eigenartig prekäre Pavillons, Hütten, Ausstellungsbauten, die Kunst beherbergen. Daneben finden sich aber auch künstliche Anpflanzungen, Aufschüttungen, Landschaften.

Der Künstler Pierre Huyghe ließ Geröll und Erde zu einer überschaubar großen und begehbaren Kunstmodul zusammen schieben und bepflanzte dieses `Wild-Life-Szenario´ nur scheinbar willkürlich. Deutlich finden sich reichlich Pflanzen, die halluzinogene Wirkungen erzeugen können, wenn sie in “fachkundige Hände” kämen. Er ließ Betonelemente und Betonplatten wie zufällig hinein arrangieren in diese bewusst angelegte Brache. Eine staksig edel wirkende Hündin kreuzt lebendig und real durch diese (Krimi?) Landschaft. Ihr Fell ist kurz und helle, doch der rechte Vorderlauf deutlich magentafarbig (!).

Der Wächter beantwortet die Frage nach dem Namen des Tieres mit “Human”, worauf sie allerdings nur unbeeindruckt reagiert. Irgendwo taucht dann zwischen den “Objekten” und dem Kunstwuchs noch ihr süsser Welpe mit braunem Naturfell und einer magentagefärbten Pfote auf. Ein seltsam freudig absurdes Naturtheater ist hier begehbar teilbar. Hinter einer kleinen stark bewachsenen Hügelkette findet sich eine “Liegende” als Betonskulptur im Nachkriegsrealismus, ihr Gesicht durch ein lebendes Bienenvolk komplett verblendet. Ein ebenso lebender Ameisenhügel wurde wohl eigens aus Amerika an eine andere Stelle diese Realkulisse ausgewildert und die ziemlich große Tiere ziehen nun lange Weg, um ein trockneres Revier in Baumstümpfen an einer entfernteren Ecke zu besetzten. – All das als Kunst? Ja, all das als künstlerisches Bild für die Kunst.

 

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