Die Welt besteht aus Projekten.

Die Welt besteht aus Projekten.

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In der Kokerei des Zollvereins Essen steht eine Installation des Künstlerpaares Kabakov, die der Fantasie ein Denkmal setzt. Auch die Jahrestagung des Kulturkreises, die dieses Jahr vom 7. bis zum 9. Oktober in Essen stattfand, würdigte die seit 10 Jahren installierte Daueraustellung mit einem Programmpunkt. Von Sebastian Sobanski .


Betritt man das Salzlager der alten Kokerei auf Zollverein Essen, taucht man ein in eine dunkle Leere, in deren Bescheidenheit eine gelb-leuchtende Tuchspirale von Holzlatten zusammengehalten wird. Dieser zweistöckige Schneckenbau erinnert weniger an den Prunk russischer Zaren als vielmehr an eine begehbare Sankt-Martins-Laterne ohne Bemalung, die in der riesigen Halle beschaulich klein wirkt. Doch auch ohne Prunk kommt in einem das Gefühl auf, in einem sakralen Bau vor einem Altar zu stehen, der etwas Wertvolles beherbergt. Da die Installation als Dauerausstellung verständlicher Weise nicht gerade von Besuchern überrannt wird, kommt diese sakrale Wirkung um sehr mehr zur Geltung.

Ein Blick in den ersten Zwischenraum dieser schmaler werdenden Spirale bringt einen jedoch auf die schlichten Tatsachen des Holzbodens und in eine karge Landschaft aus wiederverwerteten, ziemlich verranzt aussehenden Alltagsmaterialien zurück. Während unsere Alltag oftmals mit schillernden Farben und Formen “kommunikations-designed” ist und nur so mit Elektronik und Interaktivität protzt, konfrontieren die Kabakovs einen mit einem sehr schlicht gehaltenen Muster aus Holztisch, Holzstuhl, einer russischen Projektbeschreibung inklusive Übersetzung in Klarsichtfolie und dem dazuhörigen Projektmodell selbst. Das warme Gelb des Lichtes in Kombination mit dem hellen Holz rutscht ein wenig ins Vergilbte. Man steht in einer Art verstaubtem Klassenzimmer, auf dessen Tristesse man sich erst einmal einlassen muss. Hat man die Ruhe und Zeit dazu, erschließt sich ein etwas anderes Bild als Kontrast.


(c) S.Sobanski

Bestuhlung im Salzlager mit Blick auf den Palast der Projekte (c) S.Sobanski


Die 65 vorgestellten Projekte, die sich eng verstreut durch kleine Räumlichkeiten ziehen, stellen eine Sammlung dar, die Emilia und Ilya Kabakov sich nicht selbst ausgedacht haben, sondern auf Erzählungen von Kindern, Lehrern, Ingenieuren, Sportlern und diversen anderen Menschen (teilweise ohne Autorennennung) beruhen. Das Vorwort der Kabakovs gliedert sich dabei in drei Kategorien:

Projekte zur eigenen Vervollkommnung des einzelnen Individuums.
Projekte zur Verbesserung des Lebens anderer Menschen.
Projekte zur Stimulierung der Kreativität, die zur Entstehung und Schaffung der Projekte selbst beitragen.


Entlang der Palast-Spirale lässt sich nicht wirklich eine Ordnung erkennen. Eher begegnen einem die drei Bereiche zufällig. Allein anhand der ausgestellten, plastischen Modelle kann man kaum den eigentliche Sinn ausmachen. Erst die Projektskizze deckt die Motivation jeder Fragestellung anhand einer kleinen Universalanalyse auf und gibt zugleich eine teils sehr detaillierte Anleitung zur Umsetzung der einen oder anderen Utopie.

Dass sich nicht gleich immer alles um Utopien drehen muss, zeigt allein schon das erste Projekt (im Katalog mit der 1 aufgeführt), das eher einem Appell an die menschliche Seele gleichkommt.

Man bediene sich also einer genügend großen Menge Federn, um mit Draht und Lederriemen engelsgleiche und umschnallbare Flügel anzufertigen, die dem Durchschnittsmenschen spätestens seid dem Garten-Eden-Desaster abhanden gekommen sind. Alle zwei Stunden hole man nun die Flügel aus seinem Versteck, um sie für fünf bis zehn Minuten aufzusetzen und dabei völlig passiv zu verweilen. Führt man diesen Ritus tagsüber alle zwei Studen aus, so stellt sich nach spätestens drei Wochen ein spürbarer Erfolg ein, der die Frage “Wie kann ich mich selbst verändern?” vielleicht ähnlich löst, wie der neuste BauchWegGürtel , den man heimlich unter dem Hemd trägt.

Zugegebenermaßen ist der Vergleich nicht ganz fair und entstellt die eigentliche Projektidee. Denn während die Werbeindustrie eher mit sehr irdischen Argumenten an die Illusionen der potenziellen Kunden anzuknüpfen versucht, agiert der Ritus mit den weißen Flügel eher als Medium zwischen einer realen und einer Traum- oder Fantasiewelt und versucht erst gar nicht diesen Umstand zu kaschieren. Mehr noch spiegelt sich darin eine leichtgängige Selbstverständlichkeit mit der trivialen Wahrheit: der Mensch glaubt und er schöpft aus diesem Kosmos der Vorstellungskraft. In manchen Kulturen mehr, in anderen weniger.

Die Begeisterung für diese geistigen Welten und im positiven Sinne naiven Lösungswege oder -wünsche wird gewiss auch an der Staatsform der ehemaligen UdSSR liegen, die Ilya Kabakov zwei Jahre vor der Wende im Jahre 1987 endgültig verlassen konnte.

Der Kontrast zwischen Realität und Kultur, wenn man in Städten wie Moskau oder Leningrad lebte, war frappant. Das Leben war trist, aber es gab diese Insel der geistigen Welt, der Fantasie und der Kultur.

Interview diePresse


Eine solche Insel ist auch der Palast der Projekte, der sich ganz dem schöpferischen Einfall verschreibt und dem Projekt selbst damit ein Denkmal setzt.
Diese Sichtweise geht sogar so weit, dass die ganze Welt eigentlich aus Projekten zusammengesetzt ist, die nicht zwangsläufig einen Anspruch auf Realisierbarkeit erheben müssen, da Hoffnung und Träume schon Grund genug sind für eine gleichwertige Existenzberechtigung. Mehr noch haben sie damit einen Raum, in dem sie auch keinen realen Schaden durch Katastrophen auslösen können.

Wir dagegen sind überzeugt und wollen dies in unserer Installation demonstrieren, dass die einzig würdige Lebensweise des Menschen darin besteht, ein eigenes Projekt zu haben, es zu konzipieren und zu verwirklichen. Ein eigenes Projekt zu haben und es zu verwirklichen, sollte wohl in jedem Menschen angelegt sein; das Projekt ist die Konzentration, die Verkörperung des Lebenssinns, nur dank des Projekts kann ein Mensch feststellen, “wer er ist” und was er vermag, nur dadurch kann er einen “Namen” erhalten. Erst vom Augenblick der Definition seines Projekts an beginnt seine wahre “Existenz”, erst dann geht es nicht mehr nur um das “reine Überleben”.

Aus dem Vorwort der Installation




  • * Interview-Quelle : diePresse
  • Vorwort zur Installation, sowie alle Projektbeschreibungen kann man auf The Palace of Projects einsehen.
  • Internetpräsenz von Emilia und Ilya Kabakov
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