Die Braut
von Xenia Kentz
14. Jahrgang / Bronnbacher_Blick art@home
Auf meiner Reise durch Usbekistan im vergangenen Sommer habe ich auf einer Zugfahrt die Bekanntschaft mit einem jungen Usbeken gemacht. Wir kamen am späten Abend in Bukhara an und er hat angeboten, mir am darauffolgenden Nachmittag „seine“ Stadt zu zeigen.
Am nächsten Tag ging ich in Bukhara zunächst einmal selbst auf Entdeckungstour. Beim Durchstreifen der historischen Altstadt blieb ich immer wieder an Ständen hängen, an denen Künstler ihre Zeichnungen und Malereien auf Seidenpapier verkauften. Filigrane Linien und zarte Tupfen in kräftigen Farben formten auf dem hauchdünnen Papier Landschaften, historische und gesellschaftliche Szenen, Ornamente oder einfach nur nationale Symbole wie den Granatapfel. Ich bereue es immer noch so sehr, dass ich mir damals nicht etwas gekauft hatte. Ich konnte mich nicht für eine bestimmte Arbeit entscheiden und dachte, dass ich sicher auch noch in einer anderen Stadt fündig werden würde. Leider habe ich solche schönen Kompositionen sonst nirgendwo mehr entdeckt.
Am Abend traf ich wieder meinen usbekischen Bekannten, der mir unbedingt noch das Atelier eines Freundes zeigen wollte, bevor ich mit dem Nachtzug weitergereist bin. Dieser Freund ist Fotograf und widmet sich überwiegend Portraits in schwarz-weiß. Eine Aufnahme in seinem Atelier hatte es mir besonders angetan. Das Bild einer betagten Frau, das Gesicht voller Falten, sie hat kaum Wimpern mehr und die Art und Weise wie sie in diesem einen Moment den Mund leicht geöffnet hält erweckt den Eindruck, als habe sie kaum oder sogar gar keine Zähne mehr. Sie trägt ein gemustertes Gewand und eine traditionelle, mit Ornamenten verzierte Kopfbedeckung, eine Form der Takke. Darüber spannt sich ein helles Tuch, das ihr sanft über die Schultern gleitet. Es sieht aus, als trägt sie einen Schleier, wie eine Braut. Sie ist wunderschön.
Das Bild zeigt eine Frau, die viele Jahre gelebt und sicher vieles erlebt hat. Sie hat geliebt und wurde es selbst, zumindest wünsche ich ihr das. Sehr wahrscheinlich hat sie auch gelitten, denn auch das gehört zum Leben dazu. Dieses Gesicht erzählt so viele Geschichten, wie Menschen, die es betrachten.
Ich durfte mir ein Bild als Geschenk und Andenken mitnehmen und habe mich für dieses entschieden. Es erinnert mich nicht nur an eine wunderschöne Reise, sondern auch an eine von vielen besonderen Begegnungen auf meiner Reise. Aber vor allem daran, das Schöne in jedem von uns zu sehen, die Schönheit des Herzens, eine, die jeder in sich trägt, die innere, unvergängliche, echte, wahre, wie auch immer man sie bezeichnen mag. Die, die mit der Lebensgeschichte reift und geformt durch den Charakter nach außen tritt.
Ein guter Freund sagte einmal: “Ältere Menschen sind so fotogen!” Wie wahr. Ich bin bis dahin nie darauf aufmerksam geworden. Vielleicht wäre ich ohne seine Feststellung nicht an diesem Bild hängen geblieben.