Die Bedeutung der Meereswirtschaft – Eindrücke von einer Forschungsreise auf hoher See

Die Bedeutung der Meereswirtschaft – Eindrücke von einer Forschungsreise auf hoher See

Ein Bericht vDSC_6899on Anna-Sophie Liebender

Momentan befinde ich mich auf Forschungsreise auf der Maria S. Merian, eines der modernsten deutschen Forschungsschiffe, und blicke Klimatologen, Ozeanographen, Biologen bei ihren Forschungen über die Schulter. Die Forschungsreise geht von Mindelo, Cape Verde, nach Las Palmas, Kanarische Inseln, mit dem Ziel nordöstlich von Cape Verde am Senghor Seamount unterschiedliche Testgeräte, bestehend aus mobilen autonomen Systemen (Wave Glidern) sowie festen Bodenverankerungen, zu installieren sowie Schiffsmessungen durchzuführen, die allesamt Langzeitbeoachtungen von physikalischen, biochemischen und Ökosystem-Parametern ermöglichen.

Die Forscher arbeiten hier an Board Tag und Nacht, da eine Forschungsfahrt nicht nur langwierig zu planen ist, sondern auch einen großen Kostenfaktor darstellt, weshalb die Zeit von jedem an Board intensiv genutzt wird. Es ist spannend zu sehen, wie anhand von modernster Technik Kameras in Echtzeit Bilder aus der Tiefe übermitteln oder Sensoren den abnehmenden Sauerstoffgehalt in mehreren tausenden Metern Tiefe abbilden.

Es hat etwa zwei Tage gebraucht, bis ich mich an den Wellengang gewöhnt habe. Die Wellen schaukeln das Schiff von allen vier Seiten. Wer einmal auf einem Segelboot war, kennt das schnelle Schaukeln, hier befinden wir uns in einem großen und schunkelnden 100 Meter langen Schiff, das manchmal von der Seite überraschend von einer Welle angerempelt wird. Da wir auch nachts auf hoher See fahren und unterwegs keinen Hafen ansteuern, wird man zunehmend mehr von dem Wellengang durchdrungen, bis man ihn kaum mehr wahrnimmt. 20170218_MSM61_MERIAN_ALiebender_DSC_6576

Für viele ist der Ozean die neue wirtschaftliche Dimension. Die Weltmeere bieten durch ihren großen Ressourcenreichtum ein großes Potenzial für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze und gelten als unerlässlich für viele der großen Herausforderungen, denen wir in den kommenden Jahrzehnten gegenüberstehen: weltweite Nahrungsmittelsicherheit, medizinische Versorgung sowie Lieferung von Energie- und Naturressourcen für insgesamt 9 – 10 Milliarden Menschen.

Gleichzeitig wurden die Weltmeere noch nie so sehr beansprucht wie heute und sind durch Überfischung, Verschmutzung und die Folgen des Klimawandels bereits stark belastet. Um das Potenzial der Meereswirtschaft voll auszunutzen, sind ein verantwortungsvoller, nachhaltiger Umgang sowie ein ganzheitliches Konzept für ihre wirtschaftliche Entwicklung unabdingbar.

Der OECD Report „Die Meereswirtschaft in 2030“, an dem ich als Autorin mitgewirkt habe, analysiert das Wachstumspotenzial von verschiedenen Zweigen der Meereswirtschaft. Die Meereswirtschaft besteht einerseits aus etablierten Industriezweigen, wie Schifffahrt, Schiffsbau, Fischerei, Fischverarbeitung, Küstentourismus, Hafenindustrie und Offshore Öl und Gas. Andererseits beinhalten die neueren Industriezweige Offshore-Windkraft, Gezeiten- und Wellenenergie, Tiefseeunterwasserbau, Fischzucht in mariner Aquakultur, marine Biotechnologie sowie weitere neue, teils „unbekannte“ Industriezweige wie CO2-Absorption und ähnliches.

Die Bedeutung dieser Industrien wird sich in den nächsten Jahrzehnten durch globales Wirtschaftswachstum und steigende Nachfrage immer mehr wandeln. Fischereiproduktion zum Beispiel wird weiterhin ansteigen, wobei die Hauptproduktion aus Aquakultur stammen wird, da ohne strikte Management-Pläne kein oder nur sehr geringer Spielraum für weiteres Produktionswachstum bei gleichzeitig nachhaltiger Fischereiproduktion besteht. Relativ geringe Transportkosten sowie eine wachsende globale Mittelschicht, insbesondere in Asien, machen Küstentourismus immer attraktiver. Gleichzeitig motiviert eine alternde Bevölkerung die biotechnologische Forschung zu medizinischen und pharmazeutischen Zwecken. Unterwasserroboter erlauben das Abbauen von Seltenen Erden in der Tiefsee und der Einsatz von digitalen Technologien führt zu immer kürzeren Schifffahrtswegen, wie der Navigation in der sommereisfreien Arktis.

DSC_6889Bis 2030, so haben unsere Rechnungen ergeben, haben meeresbasierte Industriezweige das Potenzial, das Wachstum der Gesamtwirtschaft hinsichtlich der Wertschöpfung als auch der Arbeitsplatzbeschaffung zu übertreffen. Innerhalb eines „Business-as-usual Scenarios“ haben die meeresbasierten Industriezweige das Potenzial, ihre Wertschöpfung als auch Beschäftigung zu verdoppeln und 3 Milliarden US Dollar zu erreichen, was etwa der Bruttowertschöpfung in 2010 in Deutschland entsprach. Küstentourismus würde einen großen Teil davon ausmachen. Ferner würden 40 Millionen Menschen innerhalb dieser Industrien arbeiten, wobei viele artisane Berufe noch nicht einmal beinhaltet wären. Unsere Berechnungen haben ergeben, dass sowohl die globale Bruttowertschöpfung als auch die Arbeitsplatzschaffung in einem nachhaltigen Szenario signifikant höher wären.

Die Vorausetzung für das Wirtschaftswachstum dieser Industrien ist ein gesundes Ökosystem, welches jedoch bereits von vielen Seiten bedroht wird. Die Folgen von Klimawandel, Versauerung und Sauerstoffabnahme der Meere sowie weiterer anthropogener Einflüsse wie Überfischung, Überdüngen von Küstenzonen und Verschmutzung beeinflussen direkt die Biomasse und Biodiversität der Ozeane sowie letztendlich die Produktivität der Meereswirtschaft.

Unser Buch war ein Spätzünder. Die ersten Tage nach der Veröffentlichung waren überraschend ruhig, in der internationalen Presse machte der Brexit das Rennen, weshalb nur Fachblogs von dem Erscheinen von unserem Report berichteten. Fast ein Jahr später sieht die Situation anders aus. Es gibt einige OECD Mitgliedsländer, die ihre nationalen maritimen Strategien an unsere Empfehlungen geknüpft haben und für die Realisierung eines „sustainable scenarios“ arbeiten. Auch kooperieren wir mit der UN für die Sustainable Development Goals, insbesondere für das Ziel 14 „für die Erhaltung und der nachhaltigen Nutzung der Meere und seiner marinen Ressourcen“.

Die Erfahrung hier an Board erlaubt mir einen direkten Zugang zu Ocean observation, was ein unabdinglicher DSC_6753Bestandteil für die Ozean- und Klimaforschung sowie die Vermessung der Meere ist. Anhand der Daten von physikalischen, chemischen und biologischen Parametern können unterschiedliche Aspekte des Ozeans und die Zusammenhänge mit dem Klimasystem bemessen, beobachtet und vorausgesagt werden. Dieses Wissen erlaubt ein besseres Verständnis für die langzeitlichen Veränderungen von marinen Ökosystemen sowie für die natürlichen Prozesse des Erdsystems. Die Forschung, wie sie hier an Board der Merian betrieben wird, ist essentiell um Veränderungen hinsichtlich Azidität, Stratifizierung, Sauerstoffarmut, Biodiversität, Biomasse, Stoffkreislauf zu quantifizieren sowie Folgen von anderen Einflüssen wie Überfischung und Überdüngung in Küstenregionen festzustellen und Langzeitprognosen zu entwickeln. Außerdem sind diese Daten Bestandteil für ein integriertes und gesamtheitliches Management der Ozeane, das durch die zunehmenden wirtschaftlichen Aktivitäten und die dadurch umweltbedingten Schäden immer wichtiger wird.

An den Wellengang habe ich mich einigermaßen gewöhnt, sobald es wieder einen großen Rums einer Welle gibt, hilft der Blick auf den Horizont.

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