„Der letzte Wille“ – das Performancekollektiv She She Pop
Früher oder später stellen sich uns allen dieselben Fragen: Was wird aus den eigenen Eltern im Alter? Wer wird sie betreuen? Wer erhält das Erbe? Es sind Fragen, die sich nicht einfach beantworten lassen. Vor allem weil sich Eltern und Kindern dabei selten einig sind. Und wer bestimmt dann die Spielregeln? Von Ann-Christin Neumann.
Das Performancekollektiv She She Pop hat die mit dem Generationenwechsel zusammenhängende Konflikte in den Mittelpunkt ihres neuesten Stückes gestellt: „She She Pop und ihre Väter: Testament“. Und dem Theater-Festival Impulse ist es zu verdanken, das die Inszenierung nach einer Einladung zum Theatertreffen in Berlin kürzlich auch im Bochumer Schauspielhaus zu sehen war.
Das Besondere des Abends bestand sicher darin, dass der uralte Konflikt, den schon Shakespeare in seinem König Lear behandelte, auf der Bühne ganz aktuell und vor allem zwischen leiblichen Vätern und Töchtern ausgetragen wurde. So rückt der historische Stoff unwillkürlich näher: „Wie haben sie es nur geschafft, ihre Väter auf die Bühne zu bringen?“, „Würde mein Vater so etwas mitmachen“, “Wie wird eigentlich in meiner eigenen Familie über das Erben geredet?“…
Bei genauerer Betrachtung haben sich die Auseinandersetzungen um Erbfolge, Machtwechsel, Geschwisterkonstellationen, Beherbergung und Fürsorge kaum vereinfacht. Was Lears hundert Ritter waren, sind heute vielleicht die zahlreichen Bände der vom Vater so geliebten Bibliothek, die in der gemeinsamen Wohnung aber sicher keinen Platz mehr finden werden. Die Versuche, diese Probleme zu lösen, reichen von komplizierten mathematischen Formeln bis zu anschaulichen Raumplänen, die aber wiederum nur bislang unangesprochene Fragen und neue Forderungen provozieren. Die Erkenntnis ist dabei die alte: die Regelung des Nachlasses kann eine Familie durchaus entzweien.
She She Pop und ihre Väter bringen das Konfliktpotenzial dieses Prozesses auf die Bühne. So wird öffentlich verhandelt, was normalerweise hinter verschlossenen Türen und nicht selten ganz unausgesprochen geregelt wird. Und es wird deutlich, warum diese Konflikte gar nicht ausbleiben können, wie verschieden die Hoffnungen und Ängste der älteren und jüngeren Generationen sind, welche Dilemma bestehen und wie man damit umgehen könnte.
Mit dem Stück werden hochaktuelle Themen unserer Gegenwart angesprochen, die in der Regel und trotz des demografischen Wandels weitgehend tabuisiert werden: Alter, Vergänglichkeit, Tod, Erbfolge, enttäuschte Hoffnungen und familiäre Konflikte. Das ist es, was den historischen Stoff von König Lear heute so brisant macht und den Abend so berührend.