Being safe is scary (?)
Ein Bronnbacher_Blick auf die documenta 14
von Rebecca Ullrich, Bronnbacher Stipendiatin
Meine documenta-Premiere beginnt mit der Erkenntnis, dass das Schlusswochenende nicht unbedingt der günstigste Zeitpunkt für einen Besuch ist. Spät- und Kurzentschlossene nutzen die letzte Möglichkeit und strömen zu den Ausstellungsorten in Kassel. Dementsprechend bilden sich Schlangen, die leicht abschreckend wirken. Aber gut – rein ins Getümmel.
Ausgangspunkt für meinen Spaziergang bildet der Friedrichsplatz im Herzen der Stadt. Der breit besprochene Parthenon der Bücher ist mit Ausnahme der Front schon wieder zurückgebaut, und daher eher ein großes, karges Skelett aus Stahl. Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, den kompletten Anblick des Parthenons verpasst zu haben. Gleichzeitig macht sich Orientierungslosigkeit breit, da ich mich inhaltlich nicht vorbereitet habe. Wohin nun also?
“Beingsafeisscary” prangt in großen Lettern über dem Eingang des Fridericianums. Mein Blick schweift ab und auf die Wahlplakate unterschiedlicher Parteien, die eine Woche vor der Bundestagswahl um die verbleibenden unentschlossenen Wähler kämpfen: Sicherheit als Wahlkampfthema, als Garant für Frieden und als Stabilisator unserer Gesellschaft. Was soll an Sicherheit problematisch sein? Fühle ich mich/ fühlen wir uns zu sicher, mache ich es mir / machen wir es uns zu einfach, und sollte ich mich / sollten wir uns deswegen unsicherer fühlen? Ich weiß es nicht.
Drinnen präsentiert sich eine Sammlung des Athener Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst. Den Besucher erwartet ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Ausdrucksformen, die sich zumeist mit Themen aus Wirtschaft und Politik beschäftigen, und so einen facettenreichen Eindruck des Landes und seines Zeitgeistes vermitteln. “Safe“ scheinen hier die Wenigsten zu sein, verängstigt, bedrückt und gefangen die Meisten.
Nach einer ausgiebigen Pause dann ein Besuch der Neuen Neuen Galerie in der Kasseler Nordstadt. Die dunkle Fabrikhalle steht im Kontrast zu den hellen Räumen des Fridericianums. Die Stimmung ist gedrückt und düster. In einer Ecke ein Beitrag über die Morde des NSU, der darauf abzielt, die Geschehnisse in einen größeren Kontext von institutionellem und strukturellem Rassismus zu setzen. Als der 21-jährige Halit Yozgat 2006 im familienbetriebenen Internetcafé in Kassel erschossen wird, befindet sich ein Verfassungsschützer in unmittelbarer Nähe. Dieser bestreitet jedoch nach wie vor, etwas von dem Mord mitbekommen zu haben. Die Videoinstallation wirkt. Ich verlasse die Neue Neue Galerie in dem beklemmenden Bewusstsein, dass „beingsafe“ wahrscheinlich doch „scarier“ ist, als ich es zunächst angenommen hatte.